Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
war, darüber ließ sich streiten, aber
niemand hatte gemeckert, Gott sei Dank. Jay und Sam führten die Gruppe an,
navigierten mit einem alten Kompass, so nannte Jay es. Was das ist, hatte Kyle
morgens gefragt und keiner konnte ihm eine Antwort geben, bis auf Jay, der das
kleine Gerät genau erklären konnte. Laut diesem Kompass waren sie bisher in Richtung
Norden gegangen, denn Jay hatte ihnen versichert, der Bus sei gen Süden
gefahren und meinte es wäre sicherer sich in der Nähe des Dorfes aufzuhalten,
welches logischerweise im Norden lag. Sie waren lange noch nicht in der Nähe,
denn wenn man Sam glaubte, dann hatte der Bus sie fast dreißig Kilometer vom
Dorf entfernt rausgeschmissen. Wo sich die anderen Gruppen aufhielten, wusste
keiner. Sie wurden an anderen Orten ausgesetzt, vermutlich aber im selben
Umkreis vom Dorf entfernt.
„Es wäre äußerst ratsam, hier ein abendliches Lager aufzuschlagen. Es
wird schon bald nachtschwarz sein, wir sollten uns niederlassen.“
Isabella klang ernst wie immer, ihre strenge Stimme klang nie wie die
einer Zehnjährigen.
„Sie hat Recht. Der Tag war anstrengend, alle sind erschöpft, wir
sollten uns ausruhen. Der Platz hier ist optimal. Schlafen könnten wir in der
kleinen Vertiefung im Boden, man könnte sie mit Laub polstern und aus dem alten
Holz herum ein Lagerfeuer errichten.“ Sam‘s Anweisungen waren klar, doch er
klang immer so freundlich und liebevoll. Während alle langsam begannen aus ein
paar Laken, die sie mitgenommen hatten, eine Art Zeltplane zu spannen und
andere versuchten ein wärmendes Lagerfeuer zu entfachen, entfernte sich Ceela
langsam.
Dann packte sie ein Arm an der Schulter.
„Wo willst du hin?“ fragte Jay.
„Jagen“, mehr sagte sie nicht. Verwundert darüber, wie das blinde
Mädchen jagen sollte, guckte er etwas belustigt. Doch dann kehrte die
Erinnerung an den Tag zurück, als sie Grace gerettet hatte. Sie hatte dem
Wahnsinnigen genau zwischen die Augen geschossen. Wie hatte sie das gemacht?
Die Frage brannte in ihm, doch er wusste, er würde keine Antwort bekommen, also
ließ er es sein. Stattdessen sagte er:
„Ich komme mit.“
„Na gut.“ Sie lächelte. Dann schritt sie voraus. Leise schlich sie über
den Waldboden, tastete mit den Füßen, um sich zu orientieren, kein Geräusch gab
sie von sich. Sie verließ sich auf ihre Sinne, und dann nahm sie Fährte auf,
wie ein Tier. Sie hielt ihre Nase in die Luft und konzentrierte sich. Hirsch.
Sie folgte dem Geruch nach Wild, bis er äußerst penetrant wurde und ihr fast in
der Nase brannte. Da vorne musste der Hirsch sein. Wieder einmal konzentrierte
sie sich so stark, dass sie fast Kopfschmerzen bekam. Dann hörte sie endlich
das Schlagen des Tierherzes. Sie spannte die Sehne des Bogens, zielte auf die
Geräuschquelle des regelmäßigen Bum-Bum , dann schoss sie. Der Pfeil
zischte los und traf mitten ins Herz des Hirschs.
Neben ihr stand Jay und applaudierte ausgelassen, lachte und auch sie
lachte, als sie endlich wieder die Anspannung in ihrem Kopf herunterfahren
konnte. Mit der Beute kehrten sie zurück und setzten sich zu den Anderen ans
Feuer, während Madison sich bereit erklärte das Fleisch über dem Feuer zu
braten.
Nach kurzer Zeit gab es das Festmahl. Zu dem Hirsch aßen sie Beeren und
Kräuter, die ungefährlich waren und halbwegs schmeckten. Getrunken wurden die
Wasservorräte, die in den Rucksäcken enthalten waren. Schon bald stand fest,
dass sie morgen eine neue Wasserquelle finden mussten. Niemand hatte etwas von
Grace gehört, keine Spur von ihr und so langsam machte sich Ceela die
schlimmsten Gedanken, was ihrer armen Freundin zugestoßen sein könnte…
Sechs Uhr morgens. Langsam schälte Jay sich aus seinem Schlafsack.
Ceela erwachte schlagartig, als sie Geräusche wahrnahm. Sie zuckte auf und
drehte verängstigt den Kopf umher, doch nichts als die Schwärze nahm sie war.
Dann spürte sie eine Berührung auf ihrer Schulter. Voll blanker Furcht fuhr sie
herum.
„Alles okay, ich bin’s, Jay.“
Erleichtert atmete sie auf.
„Tut mir leid, ich bin, ach, ich weiß nicht, seit wann ich so
schreckhaft bin…“ stammelte sie zaghaft.
„Hey, ist doch okay. Ich meine, wir sind in den Reservaten, da darfst
du schreckhaft sein, meine Liebe. Kümmern wir uns ums Frühstück?“
Lächelnd griff er ihren Arm und zog sie sanft auf die Beine.
„Wer als erster ein Tier erwischt! Auf drei!“ Blitzschnell stand sie
sprintbereit da.
„Eins…“, flüsterte
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