Die Verstoßenen (Verlorene Erinnerungen) (German Edition)
Dennoch
brachte keiner den Mut zu Fragen auf, da Ceela so konzentriert und schnell
voranschritt. Ihre Füße trugen sie leicht über den Boden, tasteten, ihre Ohren
offen für jedes noch so kleine Geräusch, horchten, ihre Augen, blind, doch ihr
Blick ruhte geradeaus, starr und kraftvoll in die tiefe Schwärze auf die sie zulief,
ihre Nase bereit jeden Geruch zu identifizieren und ihr kleiner, schmaler,
fast herzförmiger Mund schmeckte die kühle Waldluft. Die Gruppe hatte
Schwierigkeiten ihrem schnellen Schritt durch den beengten Wald zu folgen.
Überall schossen Baumstämme wie aus dem Nichts in die Höhe, so kam es Jay vor,
der noch am besten von allen hinter ihr herkam.
„Da vorne kommen sie. Ich wusste, dass diese Gruppe das Wasser findet.
Diesen Teil haben sie jedenfalls bestanden.“, hauchte die düstere Stimme in den
schützenden Nebel, der den Felsvorsprung umgab.
„Nun gut, aber werden sie auch die nächste Aufgabe er…“, setzte die
zweite fremde Stimme an, bevor sie unterbrochen wurde.
„Aber nicht doch! Keine Aufgabe, eine Prüfung! Eine Prüfung! Ihre ganze
Existenz hängt von Prüfungen ab, nicht von Aufgaben!“, schnaubte die düstere
Stimme und stieß ein gellendes Lachen aus.
„Entschuldigen Sie, Sir. Glauben sie, diese Gruppe wird auch die
nächste hier wartende Prüfung bestehen, Sir?“
„Das will ich hoffen. Haben sie alles vorbereitet?“, stöhnte der Alte
mit der düsteren Stimme.
„Aber natürlich, Sir. Höchstpersönlich, Sir.“
„Nun gut. Dann widmen wir unsere Aufmerksamkeit nun dem Schauspiel.“
„Gewiss, Sir.“
Dann herrschte Stille auf dem schmalen Vorsprung über der kleinen
sprudelnden Quelle im Wald, auf dem die zwei Gestalten hockten und auf die
Ankunft der Gruppe warteten.
Hatte sie da nicht gerade Stimmen gehört, fremde Stimmen?
Nein, das konnte nicht sein. Vielleicht irrte sie sich doch das eine
oder andere Mal, denn wer sonst sollte sich so weit fernab des Dorfes
aufhalten? Das Rauschen des Wassers, das ihre Ohren vernahmen, wurde immer
lauter, bis es zu einem konstanten Sprudeln anschwoll. Sie verlangsamte ihr
Tempo. Vorsichtig setzte sie einen Fuß vor den anderen, bis sie auf größere
Steine stieß. Sie nahm ihre Hände auf den Boden und kletterte mit allen Vieren
vorwärts über die wackeligen Felsbrocken, bis ihre Hände feucht wurden. Sie
vergrub ihre Hände in dem kühlen erfrischenden Nass und wusch sich das Gesicht
gründlich, bis der ganze Schmutz fortgespült war. Das kalte Wasser machte sie
lebendig und glücklich und ließ sie für kurze Zeit alles um sie herum
vergessen, bis eben. Ein Geräusch ließ sie aufschrecken. Ein Knurren, ein
gieriges tiefes Knurren, das sie sofort aus ihrer Traumwelt zurückholte und mit
aller Kraft auf den harten Boden der Realität schmetterte.
In ihrem Kopf schien ein Gedanke aufzublitzen, kurz wie ein Zucken,
hinterließ Spuren wie eine Atomexplosion. Sie kannte dieses Knurren, diesen
Hunger, es war der Hunger nach menschlichem Fleisch, nach dem Fleisch ihrer
Gruppe. Alles war eine ganze verdammte Falle gewesen! Wie konnte sie fast zwei
Tage so naiv dahergelaufen sein, ohne anzuzweifeln, dass sie abseits des Dorfs
im verlassenen tiefen Wald noch keiner einzigen Gefahr begegnet waren? Alles
war geplant! Sie sollten nur dieser Gefahr hier begegnen, den hungernden
Bestien, die alle für wilde Wölfe halten sollten, die umherstreunten und gerade
zufällig an dieser Wasserstelle waren und sich bedroht fühlten. Doch sie wusste
es besser, ihr fehlte nicht die Erinnerung, die sie mit diesen animalischen
Kreaturen teilte, ihr fehlte nicht die Erinnerung an diese eine Nacht, im
Gegensatz zu allen anderen, die sich einfach nicht mehr entsinnen konnten etwas
anderes als diesen Sturz von ihr am Abend erlebt zu haben.
„Kehrt um Leute! Ich hab mich geirrt, kehrt schleunigst um, lauft nach
Norden und beeilt euch gefälligst, ja?! Ich komme gleich nach“, schrie sie
durch den dichten Wald in einem so harten Befehlston, dass ihrer Gruppe nichts
anderes übrig blieb als zu gehorchen und so drehten sie nur noch verwunderter
über Ceela um und setzten ihren Weg gen Norden fort, wobei sie oft
zurückblickten, doch sie verließen sich auf ihre Worte…
Bloß runter von diesen Steinen hier!
Schrie sie sich innerlich zu. Und ihr Körper gehorchte. Sie schleppte
sich hastig auf sicheren Boden.
Wie nah sind die Wölfe? Wie nah? Mist, verdammter Mist! Warum können
sie nicht einmal laut sein, wenn man will, dass sie laut
Weitere Kostenlose Bücher