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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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hätte sie ihre Tochter getötet. Da hatte sie jahrzehntelang versucht, sie vor allem zu beschützen, und nun wäre es um ein Haar zu spät gewesen. Sie riss die Strähne ab und steckte sie ein. Sie würden sich nicht wiedersehen. Ein weiteres Mal würde Iris alles hinter sich abbrechen, Michael verlassen und irgendwo neu beginnen müssen.

62.
    Gleich beim Einsteigen versuchte der Taxifahrer sie über das Geschehen in Neumaising auszuquetschen, ließ aber von ihr ab, als er Carinas bleiches Gesicht sah. Peter glaubte, sie würde sich nach Hause bringen lassen; er wollte sie später anrufen, sobald er dazu Gelegenheit bekam. Carina nickte auf der Rückbank ein und musste von dem Taxifahrer geweckt werden, als sie vor der Kinderklinik anhielten. Als Erstes bat sie die Stationsschwester um einen Kasack und eine Hose.
    »Was ist Ihnen denn passiert?« Die Schwester reichte ihr die Kleidung und eine Tüte für ihre schmutzigen Sachen. »Wollen Sie auch ein Paar neue Schuhe?«
    »Danke, ich schlüpfe mit denen in ein paar größere Clogs, wenn Sie welche haben.« Sie zog sich hinter der Stationstheke um und verteilte dabei Fichtennadeln auf dem Boden wie ein alter Weihnachtsbaum. »Ich hatte keine Zeit mehr zum Umziehen, als Dr. Schneidt mich angerufen hat. Es gibt einen neuen Fall von Kindesmisshandlung?«
    Die Schwester winkte ab. »Da können Sie in jedes zehnte Zimmer hier schauen, Kinder, die sich an Schränken anhauen, die Treppe runterfallen, von der Schaukel stürzen. Das mag ja hin und wieder stimmen, aber wenn man die Kleinen fragt, wie das wirklich passiert ist, schweigen sie.« Sie griff Carina ins Haar und zog ein kleines Aststück heraus. »Waldspaziergang?«
    »Kann man so sagen.«
    »Dann gebe ich Bescheid, dass Sie da sind. Die kleine Lea hat es leider nicht geschafft.«
    » Was ?« Carina war entsetzt, sie hatte so gehofft, dass es dem Mädchen inzwischen besser ginge.
    »Sie wurde noch operiert und ein Teil des Schädeldachs abgenommen, aber es war zu spät, wenige Stunden später ist sie gestorben.«
    Carina sah die Kleine noch vor sich; sie hatte gerade gelernt, den Kopf selbst zu halten, vielleicht wäre sie bald gekrabbelt und hätte die Töpfe in Mamas Schrank ausgeräumt. Sie dachte an ihren Neffen Sandro und daran, was der in demAlter schon alles angestellt hatte. Die ersten Lebensjahre hatte sie als Tante noch mitgekriegt, doch als er in den Kindergarten kam, war sie nach Mexiko gegangen. Trotz Jammerei und Überforderung, geschüttelt hatte Wanda ihren Sohn zum Glück nicht. Carina setzte sich auf einen Stuhl im Gang. Auf einem Regal zwischen Broschüren zu Stillberatung, Nachsorge und Impfaufklärung lag ein Faltblatt mit dem Titel: Vorsicht, zerbrechlich! Die Zeichnung zeigte ein Baby, das in einem Pappkarton mit der Aufschrift »Fragile« lag, darunter stand: Babys sind zart und kostbar. Niemals ein Baby schütteln! Anders als bei anderen kostbaren Waren, kommen Babys nicht mit einer Gebrauchsanleitung auf die Welt. Der Kinderschutzbund erklärte mithilfe von Cartoons, wie man sein Kind richtig hielt und was man falsch machen konnte. Vielleicht sollte sie das Faltblatt dem HNO -Arzt, Dr. Boes, geben. Vor Lea schien er noch nie was von einem Schütteltrauma bei Kleinkindern gehört zu haben.
    »Frau Dr. Kyreleis?« Dr. Schneidt, ein ergrauter Mittfünfziger, lief auf sie zu. »Nett, dass Sie extra gekommen sind, aber wir konnten leider nicht mehr mit der OP warten, um bei dem Jungen das Gehirn zu entlasten. Darf ich Sie dennoch kurz in mein Büro bitten?« Er eilte voraus.
    »Wie alt ist das Kind?« Carina versuchte mit ihm Schritt zu halten.
    »Zwölf Wochen. Subduralblutung, Schädelbruch, Rippenfrakturen, Retina-Blutungen.«
    »Haben die Eltern zugegeben, das Kind geschüttelt zu haben?«
    »Die Mutter hat berichtet, dass der Kleine beim Wickeln schläfrig wurde und dann das Bewusstsein verlor. Er hat sich erbrochen, als sie ihn auf die Seite drehte.«
    Carina brauchte in einem Fall wie diesem so viele Indizien wie möglich, um als Gutachterin in einem Prozess überzeugend argumentieren zu können. Kindesmisshandlung gehörte zu den allerniedrigsten Delikten. Eltern, die ihr Kind schüttelten, wussten, dass sie es nicht tun sollten, aber sie waren sich über die Folgen nicht im Klaren und stritten vor Gericht alles ab. Doch da nun die Gesundheit des Kindes vorging, würde Carina nach der Operation, bei der der Junge narkotisiert und intubiert worden war, vermutlich nicht mehr beweisen

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