Die Verstummten: Thriller (German Edition)
Kissen, als er sich langsam zu ihr herumwälzte.
Sie sprang auf und riss ihm die Bettdecke fort. Das kurze Nachthemd bedeckte ihn kaum. Sein Brustkorb war eingefallen, Schläuche und der Beutel eines künstlichen Ausgangs umlagerten ihn. Nirgends die Spur einer Waffe.
»Ich hab … dich nicht verh…rah…ten, werh…de es auch nicht tun. Ich hab … dich ge…liebt.«
Sie ließ ihn frieren, hockte sich wieder auf die Stuhlkante. Dann brach es auf einmal aus ihr heraus. »Ha, du und Liebe?«, schrie sie. »Plagt dich das schlechte Gewissen, falls du eines besitzt? Dann hoffe ich, dass es dich zerfrisst.« Sie lachte auf. »Was ist, wenn Krallinger auspackt, über uns fünf .«
»So weit wird es nicht komh…men.«
Was machte ihn da so sicher?
Seine Augen glänzten. Eine Träne durchquerte das Blut in seinem Knochengesicht. »Hilf mir.«
»Wobei?«
»Sterh…ben.«
Das würde ihm so passen, dass sie ihm das Leiden verkürzte. Sie rührte sich nicht, ließ ihn keuchen. Er hatte bestimmt ein paar wund gelegene Stellen.
»Dein Reh…tter, dah…mals«, presste er heraus. »Er warh zu neuh…gierig, hat uns nach…spi…oniert, ich h…hab ihn … «
Langsam dämmerte es in ihr, was er da faselte. Sie stand auf, beugte sich über ihn und packte das Kissen.
9.
Im Flur schlüpfte Carina in die Schutzkleidung, die ihr Verena reichte. Sogar eine Flasche Wasser hatte sie parat und entschuldigte sich nochmals für das Missgeschick. »Gerade wenn man alles richtig machen will, geht’s schief.« Carina versicherte ihr, dass nichts passiert sei, ihr Handy war vorhin auf dem Teppichboden weich aufgekommen und unbeschädigt. Sie trank und betrachtete erneut das Hochzeitsfoto von Olivia und Jakob an der Treppenhauswand. Das Paar hielt sich an einem überdimensional großen Korb fest. Jakob neigte den Kopf zu seiner Frau, als wollte er ihr den Nacken küssen, ganz ähnlich der Haltung, in der er nun gestorben war. Olivia schaute viel zu ernst für einen Freudentag, dachte Carina. Sie fotografierte das Hochzeitsfoto mit ihrem Handy. Wanda hatte ihr eine SMS geschrieben. Bestimmt fragte ihre Schwester, wo sie blieben.
»Darf ich mal?« Vincent Haas drängte sich mit seinen Tatortkoffern an ihr vorbei.
Carina trat zur Seite, zog die Kapuze vorsichtig über ihrer Beule zu, tauschte das Handy gegen das Diktiergerät aus ihrer Tasche und folgte Vincent ins Schlafzimmer. Zuerst beschrieb sie alles, was sie sah. Erst danach deckten sie die Leichname auf. Der obere, blutdurchtränkte Teil von Olivias Brautkleid kam zum Vorschein. Verena dokumentierte jedes Detail mit ihrer Kamera. Manches knipste Carina auch selbst noch einmal mit ihrem Handy zur Gedächtnisstütze. Bald war sie nass geschwitzt unter dem Ganzkörperschutz, sie fühlte sich wie in einer Sauna. Vincent und Verena schwitzten bestimmt genauso, doch sie ließen sich die Hitze nicht anmerken.
Nachdem Vincent die Kleidung der Toten Streifen für Streifen abgeklebt hatte, um Faserspuren zu sichern, trug er mehrere Schichten Polyvinylalkohol und eine Lage Mull auf Jakobs rechte Hand auf und föhnte sie. »So, das müsste trocken sein.« Er betastete sein Werk, zog den Handschuh ab und wendete ihn, damit die Schmauchabriebe von den Schüssen außen lagen und konserviert werden konnten.
Als jede Kleinigkeit festgehalten war, versuchte Carina die Augenlider der Toten zu schließen. Vergeblich. Auch Arme und Beine, alle Gelenke waren erstarrt. Die Totenflecken am Hals und an den Armen ließen sich noch wegdrücken, das gesunkene Blut verschwand für einen Moment; alles in allem hieß das, dass das Ehepaar vor weniger als zwölf, aber mehr als vier Stunden gestorben war.
»Da haben wir den Schlips des Bräutigams.« Verena zog ein schwarzes Band zwischen Matratze und Bett heraus und tütete es ein. Eine blaue Haarsträhne rutschte ihr unter der Kapuze des Schutzanzugs heraus und blieb auf ihrer schweißglänzenden Stirn kleben.
Blaue Haare, dachte Carina, das würde ihrer Schwester gefallen. Wanda hatte als Teenie unbedingt auch blaue Haare haben wollen, sich aber dann mit einer Faschingsperücke zufriedengegeben. Verenas Aufregung schien sich gelegt zu haben, ihr war keine Spur von Unsicherheit mehr anzumerken.
Auch die Decke, die Olivias Verwundung verborgen hatte, packte Verena ein. »Vielleicht sind DNA -Spuren des Täters daran.«
»Alles deutet auf eine Hinrichtung hin«, sagte Vincent. »Doch die Schlussfolgerungen überlassen wir lieber dem Meister.« Er wies
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