Die Verstummten: Thriller (German Edition)
verschwanden hinter den sie umgebenden Schattenringen wie die Arena unter den Treppen eines Amphitheaters.
»Was denkst du dir eigentlich dabei, ohne Befugnis eine Zeugin zu befragen?«
»Eine Zeugin?«
»Tu nicht so, du weißt genau, von wem ich spreche. Die Nachbarin der Familie Loos, Agnes Mayerhofer. Ich hab dich doch gebeten, dich aus dem Fall rauszuhalten.«
»Ich kann reden, mit wem ich will«, fuhr sie ihn an. Noch wollte sie nicht klein beigeben. Auf einmal schienen alle Geräusche in den Büros ringsum zurückgeschraubt. Frau Kirchleitner hinter der Glastür rutschte der Telefonhörer nach unten, genau wie ihre Kinnlade. »Ich hab sie nicht befragt , wie du es nennst«, erklärte Carina. »Ich habe sie getroffen, und sie hat mir … «
»Getroffen?«, unterbrach er sie. »Und du warst zufällig in der Gegend, oder wie muss ich das verstehen?«
Carina biss die Zähne zusammen und schnaubte durch die Nase. Ein Knurren entwich ihrer Kehle. Jetzt hätte sie ein Paar echte Hörner gut gebrauchen können, dann könnte sie ihn jetzt aufspießen und durch die Luft schleudern.
Was bildete er sich ein? Sie konnte tun und lassen, was sie wollte, noch lebten sie in einem freien Land, ohne Matte Kyreleis als Oberbefehlshaber von Kontrolloseum oder wie sein Gefängnis dann heißen würde. »Was ist mit der kleinen Flora? Geht es ihr gut?«
Matte kratzte sich am Flaum. »Darüber gebe ich dir keine Auskunft, ein für alle Mal.«
»Weiß Flora schon, dass ihr Bruder ihre Eltern ermordet haben soll?« Carina bohrte weiter.
»Enrico war es«, fuhr er sie an. »Da gibt es keine Zweifel mehr.«
»Toll, ich gratuliere, erster Preis, Seite neunhundertneunundneunzig im Guinnessbuch der Rekorde unter Buchstabe O wie Oberschnellste Ermittlung der Welt. Aber was ich mache, das lass mich allein entscheiden. Wenn mir ein Ast auf den Kopf fällt, kannst du auch nicht vorher den Baum umsägen, oder? Sag mir lieber, wer Iris ist.« Nun war es heraus, einfach so; es war ihr über die Zunge gepurzelt, das Stück von ihrer Mailbox, das Peter für einen Namen hielt. Sofort spürte sie, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. Ihr Vater öffnete den Mund, als wollte er etwas erwidern, blieb jedoch stumm und starrte sie an.
Im nächsten Moment zuckte sie zusammen, als er plötzlich Luft holte und über ihren Kopf hinweg losbrüllte.
»In fünf Minuten sind alle bei mir im Büro.«
Manitu hatte gesprochen, und die Steine rührten sich. Frau Kirchleitner legte den Hörer auf die Telefonanlage, sprang von ihrem Bürostuhl auf und straffte sich den Rock. Aus allen Ecken und Nischen strömten sie herbei, wie Mäuse aus ihren Löchern, wenn es regnete. Als Carina ebenfalls in sein Büro gehen wollte, nahm er ihr die Klinke aus der Hand.
»Du nicht.« Er stieß sie zurück. »Ich will nicht, dass du dich noch mal so einer Gefahr aussetzt wie im letzten Fall.« Damit zog er ihr die Tür vor der Nase zu. Paff!
Da stand sie und hörte ihn drinnen toben.
»Wie konnte das mit dem Kind passieren? Was ist das hier, arbeitet hier noch jemand richtig, oder sind wir in einem Schlaflabor?«
Wenigstens sprach er von wir und bezog sich selbst mit ein. Sie zögerte, ob sie nicht doch einfach hineingehen sollte.
»Na, endlich lerne ich Mattes Tochter persönlich kennen.« Ein Mann, mehr breit als hoch, in aufgekrempelten Hemdsärmeln und über dem Bauch hochgerutschter Weste, war neben ihr aufgetaucht und reichte ihr die Hand. »Ihr Vater hat mir schon so viel über Sie erzählt, dass ich fast geplatzt bin vor Neugier. Ich bin Kriminalrat Schirmer«, stellte er sich vor. »Wunderbar, dass Professor Feininger Sie gleich geschickthat und Sie uns unterstützen wollen.« Ihn schien das Toben ihres Vaters, das immer noch durch die Tür drang,nicht zu stören. Er lächelte unentwegt und drückte auf einen Knopf des Kaffeeautomaten, ein Pappbecher sprang heraus.
Mit etlichen Akten und seinem Netbook unter dem Arm rannte Peter den Gang entlang.
»Ach, Herr Schuster.« Schirmer hielt ihn auf.
»Bin zu spät, grüß Gott, Herr Kriminalrat, hey, Carina.« Peter keuchte.
»Sie kennen sich also schon.« Schirmer roch an dem Kaffee und rümpfte die Nase. »Na, dann umso besser, nehmen Sie Frau Dr. Kyreleis mit zur Familie Loos, und krempeln Sie alles um, gehen Sie es von Anfang an noch mal durch. Ermitteln Sie in alle Richtungen, vielleicht versteckt sich die Kleine auch nur irgendwo. Von Stunde zu Stunde wird die Wahrscheinlichkeit geringer, dass sie noch
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