Die Verstummten: Thriller (German Edition)
die Iris heißt?«
»Ich habe meinen Vater gerade nach diesem Namen gefragt, aber keine Antwort gekriegt. Du meinst, es könnte einen Zusammenhang geben zwischen ihm, Iris und Krallinger, der bei der Stasi war und zugleich hier gearbeitet hat?«
»Das habe ich nicht behauptet, aber es ist schon grotesk. Dass das BKA Krallinger dann einfach so übernommen hat. Wann beginnt der Prozess gegen ihn?«
»Morgen, deshalb ist mein Vater auch so gereizt. Er glaubt, dass Krallinger gezwungen wurde, auf ihn zu schießen, oder so ähnlich. Ich versteh es nicht genau.« Sie verschränkte die Arme. »Vielleicht muss ich das ja auch nicht. Danke, dass du dich so bemüht hast. Was habt ihr über das Mädchen rausgefunden?«
»Wie es aussieht, ist sie in Sicherheit und verbringt die Ferien mit der Familie ihrer Schulfreundin in Italien.« Peter fuhr das Netbook herunter.
»Die Nachbarin, Frau Mayerhofer, hat behauptet, sie ist bei ihrer Oma in Gauting«, sagte Carina.
Peter verstaute das Netbook in seiner Sporttasche. »Mit Floras Oma habe ich telefoniert. Der Plan ist geändert worden, sagt sie, erst hat sich Flora nicht getraut, ganz ohne Eltern zu verreisen, aber dann doch.«
»Und habt ihr sie in Italien erreicht?«
»Kein Handy und kein Internetanschluss, so was gibt es tatsächlich noch. Ich habe rumtelefoniert und erfahren, dass die Familie Schnitzler, so heißt ihre Schulfreundin Sara mit Nachnamen, am Freitag mit dem Zug nach Verona gefahren ist und dort einen Campingbus mieten wollte, um dann weiter nach Süden zu fahren. Ob sie allerdings Flora dabeihaben, wussten die Verwandten der Schnitzlers auch nicht. Es würden immer irgendwelche Kinder mitreisen, die Familie hat zwei Mädchen, Sara und noch eine Tochter. Die italienischen Kollegen sind eingeschaltet, aber es ist schwierig. Gerade ist Hauptsaison bei den Mietwagenfirmen und dann natürlich auch auf den Campingplätzen, ganz abgesehen davon, dass man mit einem Bus nicht immer auf einem bezahlten Platz hält.«
Schirmer trat ohne Anklopfen ins Büro. »Ich dachte, Sie sind schon längst weg.« Er fuhr sich durch die Haare. Seine geöffnete Weste hing ihm wie zwei erschlaffte Flügel unter den Achseln. »Die Italiener haben die Familie von Floras Freundin auf einem Campingplatz bei Mailand gefunden. Leider ist das Mädchen nicht bei ihnen, war es auch nie. Laut Familie Schnitzler wollte sie kurz vor der Reise doch nicht mit. Jetzt haben wir also einen Vermisstenfall. Wir richten gleich eine Sonderkommission ein, trotzdem bitte ich Sie beide, wie geplant ins Looshaus zu fahren. Die Spurensicherung ist schon auf dem Weg dorthin. Finden Sie heraus, ob jemand absichtlich alle Habseligkeiten von dem Mädchen beseitigt hat. Befragen Sie auch Onkel und Tante, die nebenan wohnen und gerade von Frau Kirchleitner informiert werden. Laut Sara Schnitzler wurde Flora zuletzt an der Bushaltestelle in der Nähe der Haidhausener Grundschule an der Flurstraße gesehen. Sie wollte dann mit ihrem Cityroller zur S-Bahn, angeblich, um zu ihrer Oma nach Gauting zu fahren.« Er seufzte und warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Wir wissen alle, dass die ersten zweiundsiebzig Stunden die kritischsten sind.« Er reichte Peter einen Faxausdruck. »Hier, der Name des Fahrzeughalters, der Enrico verfolgt hat.«
34.
Wie ein Lieblingslied drehte sich der Farbkreisel in Floras Kopf. Sie hörte sich die Geschichte von dem Königspaar, das so ähnlich wie ihre Familie hieß, wieder und wieder an.
König Laos und Iokaste, die Königin, wünschten sich sehnlichst ein Kind. Einmal im Jahr pilgerten sie mit ihrem Volk nach Delphi, um das Orakel zu befragen, ob sie denn je ein Kind haben würden. Doch die Ziege, die meckernd das Orakel sprach, war nur schwer zu verstehen. Ihr bekommt etwas, hieß es – aber was genau, mussten sie erraten.
Es jagt den Kater und verbrät die Butter, hörte König Laos aus dem Gemecker heraus.
Es klagt im Theater und vergisst das Futter, glaubte die Königin vernommen zu haben.
Auf dem Heimweg stritten sie über des Rätsels Lösung, bis sich der Hofnarr einmischte, weil er das Gezeter nicht mehr ertrug. »Es heißt: Es ehrt den Vater und liebt die Mutter.«
Da war das Königspaar besänftigt. Denn besser irgendetwas als gar nichts bekommen. Und tatsächlich, neun Monate später erblickte ein Kind das Licht der Welt. In der Nacht erschien Laos die Orakel-Ziege und verwandelte sich in seinem Traum in eine Löwin mit Flügeln, die knurrte: »Es erschlägt den
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