Die Verstummten: Thriller (German Edition)
den Möbeln. Dann schaltete er das UV -Licht ein. Luminol machte den kleinsten Blutstropfen sichtbar, aber hier leuchtete nichts auf. Auch in dem leeren Zimmer, das vielleicht Flora gehörte, war kein Blutstropfen zu sehen. Nicht auf dem Parkett, dem Gymnastikball, auf dem Carina gesessen hatte, und auch nicht auf den Sockelleisten, wo sie Saras Karte gefunden hatte. Zum Glück hatte es nicht geblutet, als Kater Bingo sie gebissen hatte, sonst würde jetzt ihr Blut hier aufleuchten, dachte sie für einen Moment. Erst in Olivias und Jakobs Schlafzimmer änderte sich alles, wie erwartet. Als hätten sie mit einem Wimpernschlag in eine Geisterbahn gewechselt, leuchteten hellblaue Blutspritzer auf, am Kopfende des Bettes und an der Wand, vor der Jakob gestanden haben musste, als er erschossen wurde. Verena knipste, Vincent sprühte nach, um die Wirkung zu intensivieren. Auch wenn Jakobs Stirnwunde und Olivias Herzschuss nicht stark geblutet hatten, wussten sie nun, dass hier jemand gründlich geputzt hatte, um alles Blut zu beseitigen. Ohne zu reden arbeiteten sie sich weiter durch die Räume – nicht, weil es nichts zu sagen gegeben hätte, sondern weil sprechen bedeutete, dass Spucke in die Spuren gelangen konnte.
Erst nachdem Vincent jeden Winkel eingesprüht hatte, brach er das Schweigen. »Lasst uns am Kellerabgang weitermachen, bei den Einschüssen in der Wand.« So wanderten sie mit ihrer Ausrüstung nach unten, verdunkelten dort und fingen in Küche und Wohnzimmer an, arbeiteten sich bis in den Keller, dann die Treppe wieder nach oben. Doch es blieb finster.
»Beenden wir die Geisterstunde.« Peter wollte die Vorhänge wieder aufziehen.
»Warte.« Carina hatte etwas auf der zweiten Kellerstufe entdeckt. Vielleicht waren ihre Augen überanstrengt und sie hatte sich getäuscht, aber in der Ecke direkt unter den Einschüssen, wo die Treppe einen Knick machte, war etwas gewesen. Sie bat Vincent, dort noch einmal nachzusprühen. Einzelne Tropfen mit Dornen und spitzen Auskragungen wurden sichtbar. Carina entnahm mit einem Wattestäbchen Proben für eine DNA -Analyse, die Peter beschriftete.
Nun sprühte Vincent auch die Unterseite des Treppengeländers ein. Und Treffer! Mehrere ausgeprägte Papillarleisten wurden sichtbar. Blutige Fingerabdrücke, die derjenige, der hier sauber gemacht hatte, übersehen hatte.
»Die Putzfrau kann es nicht gewesen sein. Eine Frau Velic … « Peter sah in seinen Notizblock. »Ein Kollege kennt sie und wusste, dass sie auch hier putzt, immer montags.« Nachdem sie die Abdrücke gesichert, fotografiert und alles dokumentiert hatten, schoben sie die Essensreste der Familie zur Seite und setzten sich am Tisch in der Küche zu einer Besprechung zusammen. Auch wenn die Szenerie, die die Familie am Todestag hinterlassen hatte, längst verändert worden war, bereitete es Carina ein leichtes Unbehagen, die eingetrockneten Apfel- und Orangenschalen, von Fruchtfliegen umschwirrt, einfach in den Mülleimer zu werfen. Sie schüttete die halb eingefüllte Packung Kaba in die Blechdose und stellte sie auf die Küchenablage. Die anderen schien das nicht zu stören. Aber sie trugen auch nicht die Schuhe des Opfers, dachte sie und hakte ihre Füße hinter die Stuhlbeine. Verena kopierte die Fotos von ihrer Kamera auf ihren Tablet, und Vincent holte aus dem Auto einen Sechserpack Wasserflaschen. Endlich konnten sie aus ihren Schutzanzügen steigen und etwas trinken.
Beim ersten Schluck merkte Carina erst, wie durstig sie war. Sie zitterte, als sie trank. »Hast du die Schmauchspuren an Jakobs Hand schon ausgewertet, von der du diesen Handschuh gemacht hast?« Sie wandte sich an Vincent, der sofort die Arme hob. Einen Moment lang glaubte Carina, er würde sie zurechtweisen: Warum sie sich eigentlich in den Fall einmischte und dass sie sich gefälligst rauszuhalten habe. Ihm als langjährigem Kollegen ihres Vaters war das durchaus zuzutrauen. Gleiche Generation, gleiche Meinung, vermutete sie. Irgendwie konnte sie, nach Mattes Auftritt, noch immer nicht glauben, ebenbürtig im Team mit dabei zu sein.
Doch Vincent unterstrich nur mit den Händen, was er erklärte. »Vermutlich wollte Jakob Loos den Schuss verhindern und hat den Lauf umklammert, siehst du, so. Er hat die Waffe abgewehrt, als der Täter geschossen hat. Das beweisen die Schmauchspuren an der äußeren Handkante, also nahe Ringfinger und kleinem Finger, nicht wie bei der Schuss- oder Haltehand üblich zwischen Daumen und
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