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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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ich testen wollte, ob sie es von mir oder meiner … also, von wem sie es lernt.«
    »Hast du gewusst, dass Worte wie ein Fingerabdruck sein können?« Carina atmete auf. Endlich ein Thema, das ihr leicht über die Lippen ging. »Ein neuer Kollege von meinem Vater möchte sich bei der Münchner Polizei als Sprachforscher etablieren. Er untersucht zum Beispiel die Eigenheiten in Erpresserbriefen.«
    »Ach, deshalb redest du nicht viel, du hast Angst, dass ich deine Fingerabdrücke nehme?« Wieder legte er den Arm um sie.
    »Mein Vater hat ihn mir ganz anders geschildert, als er in Wirklichkeit ist.«
    »Wen?«
    »Na, den Sprachforscher. Ist doch komisch, was man oft über andere denkt, nur weil jemand mal irgendeine Bemerkung gemacht hat.«
    »Hm.«
    Sie sahen den Kindern zu. Carina biss sich auf die Lippen, so unverfänglich war das jetzt nicht gewesen.
    Clemens’ Handy klingelte. Er spähte auf das Display. »Ich muss weg, eine Pferde-Not- OP .« Er sammelte Becky ein und zwängte sie in den Buggy. »Triffst du dich mit diesem Sprachforscher, seid ihr zusammen?«, fragte er noch, bevor sie sich ohne weiteren Kuss voneinander verabschiedeten.

44.
    München-Grünwald, 1993
    Die erste Prüfung stand ihr bereits nach vier Wochen bevor, als Edgar zu einem Beratungsgespräch musste und sie mit der Einbalsamierung einer Auslandsüberführung allein ließ. Sie schaltete seine Heavy-Metal-Kassette aus und suchte ihr Werkzeug zusammen, legte Pinzette, Schere, Watte und Skalpell auf einem Tablett zurecht. Auf dem Tisch ruhte ein übergewichtiger Achtundsechzigjähriger, dessen Verwandtschaft bei Padua ihn im Familienkreis aufbahren wollte. Sie entkleidete den Italiener und schob ihm einen Stützkeil in den Nacken, damit das Blut aus dem Gesicht nach unten floss. Dann entfernte sie die Pflaster aus der Armbeuge und von der Bauchdecke, die noch vom Krankenhaus stammten, wo ihm ein Katheter gelegt worden war, sprühte den Körper ein und säuberte ihn.
    »Ich dachte, mein Vater … « Michael kam in den Aufbahrungsraum, sah ihr stumm zu, wie sie die Haare mit Kamillenshampoo wusch, dann ausspülte und föhnte. Sie cremte den Leichnam ein und massierte die Gelenke, um die Leichenstarre zu lösen.
    »Da möchte man am liebsten tot sein, wenn man dich das so machen sieht.«
    »Du kannst dich gleich dazulegen«, scherzte sie.
    Er schluchzte plötzlich auf.
    »Hast du den Toten etwa gekannt?«
    »Nee. Tut mir leid. Fanni hat mich nur gerade verlassen und ich … «
    Iris verhedderte sich im Schlauch der Elektropumpe.
    »Warte. Ich weiß, wie das geht.« Er half ihr mit der Nadel, stach ohne zu zögern in die Halsschlagader des Toten, um das Blut abzusaugen. »Wegen der Fanni habe ich sogar das Studium gewechselt.« Er hatte lauter gesprochen, um die Maschine zu übertönen, und schnäuzte sich jetzt.
    »Orientalistik?«
    »Sinologie.«
    Sie hängte den Schlauch zwischen die Zehen des Toten – eine natürliche Halterung sozusagen. Nachdem alles Blut entnommen war, drückte sie den Knopf für die Gegenrichtung, und Formaldehyd wurde durch den Schlauch in den Blutkreislauf gepumpt. Gemeinsam arbeiteten sie weiter, massierten Arme und Beine des Leichnams, damit die Konservierungsflüssigkeit sich gleichmäßig verteilte.
    »Und wie bestatten die Chinesen ihre Toten?«, fragte sie und stellte die Pumpe ab.
    Michael zuckte mit den Achseln. »Das unterscheidet sich nicht so sehr von unserem Ritual, jedenfalls was die chinesischen Stadtbewohner betrifft. Bei den Tibetern gibt es die Himmelsbestattung. Ein Angehöriger legt dem Sterbenden eine Pille in den Mund, die enthält tibetische Arznei, aber auch Überreste eines Mönchs, einen Fetzen seiner Kleidung, Haare oder Fingernägel.«
    »Und was soll diese Pille bewirken?« Sorgfältig verschloss sie alle Ausgänge – Nase, Rachen und Anus – mit Silikon und Watte, wie Edgar es ihr erklärt hatte, damit nichts auslaufen konnte.
    »Die Tibeter glauben, dass auf die Art alles Menschliche im Körper zurückgehalten wird, die Gefühle, die Triebe, und die Seele ganz befreit gehen kann.«
    »Alles loslassen, klingt doch gut. Kann ich auch welche von den Dingern kriegen?«
    »Gern.« Er nahm sie in die Arme und lächelte sie schief an. Sie, in den Händen noch Watte und eine Pinzette, war derart überrumpelt, dass sie es sich gefallen ließ. Seine Freundin schien Michael schnell überwunden zu haben.
    Plötzlich wich er zurück. »Seid ihr eigentlich … also, mein Vater und du, seid ihr …

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