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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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seinem Schoß aus und betrachtete es Seite für Seite. Carina lugte zu Wanda, aber die kraulte Thor und schien ganz in alten Erinnerungen versunken. Das Buch enthielt Zeichnungen von toten Menschen, hoffentlich erschreckte Sandro das nicht. Aber der Tod gehörte zum Leben dazu, jedenfalls zu ihrem Leben, also durfte auch ihr Neffe diesen Teil sehen, beschloss sie und wandte sich wieder ihrer Schwester zu. »Weil meine Mutter was … ? Sag schon, was haben sie dir erzählt?« Jetzt kam’s. Wanda hatte es die ganze Zeit gewusst. Sie, die immer am Reden war, hatte es totgeschwiegen.
    »Na, eine Verbrecherin soll sie sein oder jedenfalls eingesperrt. Ich hab mal gelauscht, als ich nachts aufs Klo musste und sie im Wohnzimmer redeten.«
    »Wer ist eine Verbrecherin?« Sandro sah sie mit großen Augen an.
    »Niemand, Schatz, die kennst du nicht.« Wanda strich ihm über die Haare. »Mal weiter.«
    »Ich versteh einfach nicht, dass du nie was gesagt hast.«
    Wanda zuckte mit den Schultern. »Wie sollte ich ahnen, dass du es nicht weißt? Und ich finde, dass es keinen Unterschied macht, heute jedenfalls.«
    »Für mich schon.« Carina stellte ihre Teetasse ab, bereit zu gehen.
    »Ich hatte meine Mama und du deinen Papa. Er lässt es mich heute noch spüren, wer ihm am wichtigsten ist.«
    Carina verdrehte die Augen. »Fang nicht damit wieder an.«
    »Apropos, hast du eigentlich mit ihnen die Wünsche besprochen, die ich dir per SMS geschickt habe? Ein Nagelset brauche ich nicht mehr, dafür hätte ich, also Sandro, lieber … «
    »Das mit der Wunschliste war doch hoffentlich nur ein Scherz. Wanda, deine Kindergartenzeit ist längst vorbei!« Carina wollte ihr Skizzenbuch einpacken, doch Sandro war noch darin vertieft, formte Buchstaben überdeutlich mit dem Mund und verband sie. »Rrrrraaaaaffff. Was ist das, Carina?«
    »Zeig her.« An welcher Stelle hatte sie was über die RAF notiert?
    Aber da war es: Olivias Teppichzeichen. Wo sie einen Vogel gesehen hatte, konnte man auch drei Buchstaben erkennen. Wenn man wie Sandro das Skizzenbuch verkehrt herum hielt.

46.
    Hatte ihr Bruder sie betäubt und hier eingesperrt, weil er vielleicht doch glaubte, sie hätte ihn verraten? Flora versuchte sich Enni als silbrig glänzende Zwiebelhaut vorzustellen, aber es gelang ihr nicht. Ihr Bruder war immer dunkelgrün, wenn sie an ihn dachte. Niemals hätte er ihr die Knöchel durchbohrt. Noch nie hatte er ihr wehgetan, obwohl sie ihn als kleine Schwester oft nervte.
    Steckten doch ihre Eltern dahinter? Schlechten Mamas und Papas nahm ein Amt die Kinder weg und brachte sie in ein Heim, das wusste Flora von einem Mädchen aus ihrer Klasse. War das hier so was, wo man die Kinder mit einer Fußfessel am Weglaufen hinderte? Aber Mama und Papa hatten sie geküsst und umarmt, als sie sich am letzten Schultag auf den Weg machte, sogar behauptet, dass sie sich auf den grauen Tag freuten, wenn sie wieder bei ihnen wäre. Die Gautingoma hatte einen Gipsarm und war auf ihre Hilfe angewiesen, hatte Mama gesagt. Pudding und Rührei und sogar Kuchen, wo im Rezept von Essiglöffeln die Rede war, hatte sie für Oma kochen und backen wollen. Mindestens dreimal eingeschlafen und wieder aufgewacht war Flora schon. Also wo blieben ihre Eltern nur?
    Außerdem musste sie mal, und die Windel quoll schon über. Wieder hievte sie sich mit den Armen aus dem Bett, zog sich wie eine Seerobbe zur Tür und rüttelte an der Klinke. Zugesperrt! Neben dem Schrank entdeckte sie einen Nachttopf mit einem abgekratzten Abziehbild vorne drauf, ein Bär oder ein Hase. Aber nicht so schön gemalt wie der von Sara. Die Karte hatte Flora extra in ihr Regal gestellt, aber sie war aus ihren Möbeln verschwunden wie all ihre Sachen. Das Nachttopfplastik wirkte alt, vielfach benutzt und schimmerte nur noch an den Seiten rosa. Sie verlangten doch nicht, dass sie sich wie ein Baby da draufhockte? Oder war es das, was die Kinderfänger wollten? Sollte sie wie ein Säugling sein, einer wie dieser Ödipus? Sie musste so dringend groß, dass sie schon am ganzen Körper Gänsehaut hatte. Die Windel klatschte wie ein Ziegelstein auf den Boden, als sie sie endlich heruntergezerrt und an den zusammengezurrten Beinen entlang nach unten gefädelt hatte. Bis sie dann mit ausgestreckten Beinen auf dem Nachttopf hockte, war sie außer Atem. Sie klappte die Schranktür auf und verbarg sich dahinter. Nun hatte sie wenigstens ein Klo mit Tür, in dem sie sich unbeobachtet fühlte. Nur ihre Füße mit

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