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Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Die Verstummten: Thriller (German Edition)

Titel: Die Verstummten: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephanie Fey
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es sein. Sie ignorierte Michaels Blick, streifte sich die Gummihandschuhe über und rollte den Wagen mit der Kosmetik heran. Er fing sie ein, küsste sie, verschlang seine Zunge mit der ihren, wollte sie nicht mehr loslassen. Sie hatten erst einmal miteinander geschlafen, oder besser: fast. Kaum hatte Michael auf ihr gelegen, hatte er auch schon einen Erguss, so aufgeregt war er gewesen. Sie wunderte sich, da sie überhaupt nichts getan und nur gehofft hatte, dass es bald vorbei war und die alte Wunde nicht wieder aufriss. Seither betonte er, wie schön es sei, sich für die Hochzeitsnacht aufzusparen. Sie dagegen hoffte einfach, er würde dann so besoffen sein, dass er sich später nicht mehr erinnern konnte, ob sie wirklich Sex hatten oder nicht.
    Jetzt löste sie sich von ihm und schlug das Leichentuch zurück. Die Verwesung war schon weit fortgeschritten, die Haut hatte sich grünlich verfärbt und warf Fäulnisblasen auf.
    »Warum hast du ihm nicht gesagt, dass er die Verstorbene besser so in Erinnerung behalten soll, wie sie zu Lebzeiten ausgesehen hat?«
    »Nichts zu machen.« Gloria zuckte übertrieben mit den Schultern. »Ihr Bruder besteht darauf, sie zu sehen. Aber ich krieg das hin.«
    Michael seufzte und holte sich einen Kittel. »Dann bleibe ich besser zu Hause und helfe dir.«
    »Nein, nein, ich mach das, fahr ruhig los, du bist ohnehin spät dran.« Sie gab ihm ein paar schnelle Küsse hintereinander, schob ihn dabei zur Tür und nahm ihm den Kittel aus der Hand.
    Endlich wandte er sich um. »Morgen um neun ist schon die erste Beerdigung, und … «
    »Eben, ich dachte mir, das übernimmst du dann allein, und ich schlafe aus, einverstanden?« Sie griff zur Sterilliumflasche, schüttelte sie und besprühte die Tote. »Nur das Gesicht stelle ich wieder her, den Rest decke ich ab, das geht schon. Als Frau verstehe ich sowieso mehr vom Schminken.« Als er draußen war, atmete sie auf. Punkt zwei auf ihrer inneren Liste zur Beschaffung einer Toten war abgehakt. Nun konnte sie sich voll und ganz auf die nächsten Stunden konzentrieren. Und morgen, wenn ihr Verlobter von seinem Rettungsschwimmkurs zurückkam, wäre wieder alles wie immer. Die Tote hatte keinen Bruder oder jedenfalls keinen, der sie noch einmal aufgebahrt sehen wollte. Die Träger würden einen verschlossenen Sarg mit Sandsäcken anstelle eines Leichnams zum Friedhof transportieren. Falls Michael nachfragte, hätte es sich der Bruder eben doch noch anders überlegt. So was kam öfters vor, der Kunde war König bei Bestattungen Schwalbe, und Überstunden zählten nicht.
    Wie jeden Donnerstag trainierte ihr Verlobter bei der Wasserwacht. Leute retten, das war für ihn der beste Ausgleich zum Einsargen, ihrer täglichen Arbeit. Nach der Fahrt nach Wolfratshausen und dem Training übernachtete er dann bei einem Freund, weil er im außen und innen durchfeuchteten Zustand, wie er es nannte, nicht mehr zurückfahren konnte. Kaum hörte sie die Tür zuschnappen, schaltete sie das Radio ab. Michael arbeitete immer mit Schlager-Gedudel im Hintergrund, er wollte, umgeben von Toten, das Leben noch spüren. Sie dagegen brauchte Ruhe, heute ganz besonders. Schließlich hing ihr Leben davon ab, im wahrsten Sinne. Sie musste sich konzentrieren.
    Die Tote war jünger und, dem Platz im Sarg nach zu urteilen, auch ein paar Zentimeter kleiner als sie. Aber das würde man später aus der Ferne hoffentlich nicht erkennen. Von Michaels Schreibtisch im Büro nebenan holte sie ihr gerahmtes Porträtfoto, legte es auf den Stahltisch und stellte einen Vergrößerungsspiegel dazu. Dann schnitt sie der Toten die Gesichtshaut auf, löste die Wangenknochen und den Kiefer heraus, hielt alles unters Wasser und spülte die Gewebereste ab. Mit einem Akkubohrer, der neben dem Make-up, den Kämmen und dem Shampoo im Präparierwagen lag, bohrte sie kleine Löcher in die Knochen und zog Draht durch. Nachdem sie die Knochen wieder eingepasst hatte, füllte sie die Lücken mit Watte und Papiertüchern aus, wärmte Wachs in den Händen und formte mithilfe des Spiegels und ihres Porträts ihre eigenen Züge in dem fremden Gesicht nach. Ein merkwürdiges Gefühl. Sie modellierte ein spitzeres Kinn und passte die Wölbung der Stirn ihrer eigenen an. Von der Nase war nur noch der Ansatz des Nasenbeins vorhanden, also baute sie sie neu auf, formte die Nasenlöcher und knetete sogar ihren kleinen Höcker auf dem Nasenrücken nach. Gerade als sie ihn einsetzen wollte, hörte sie einen

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