Die Versuchung
mir, was ich mit dem Bild machen soll.“
„Wenn wir einander nie wieder sehen sollten, schöne kühle Isabelle“, sagte Hamilton lächelnd, „dann müssen Sie das Bild meinem Vater schicken, denn es ist das Porträt meiner Schwester Helen.“
Sie blieb stehen und sagte: „Herr Hamilton, ich gebe zu, ich habe Ihnen in diesem Fall Unrecht getan. Ich dachte in der Tat, dass Ihr Herz an die Frau auf dem Bild vergeben sei. Wäre es so, dann müsste ich Sie für egoistisch und gefühllos halten ...“
„Nein, das müssen Sie nicht, ich verfüge durchaus über Gefühle“, sagte Hamilton leicht ironisch. „Ich verfüge sogar über ein Herz – oder ich müsste vielleicht sagen, ich verfügte darüber, bis vor einiger Zeit. In England gestattet man jüngeren Söhnen tatsächlich, ihr Herz nur leihweise zu vergeben und es dann wieder zurück zu fordern. Aber es will dort auch kaum jemand behalten – was soll man mit einem Herz anfangen, einem so wertlosen Ding?“
„Sprechen Sie nicht so – ein Herz ist immer wertvoll ...“
„Wenn Sie das denken – vielleicht ist das der Grund, warum Sie dabei sind, eine Sammlung anzulegen“, sagte Hamilton. „Das Herz Ihres Cousins ist Ihnen aufgezwungen worden, das von Zedwitz haben Sie gewissermaßen schweigend angenommen – und was Sie mit meinem zu tun gedenken ...“
„Ich muss jetzt nach Hause“, unterbrach ihn Isabelle nervös, „man könnte bemerken, dass ich hier so lange bei Ihnen stehe.“
„Sie können beruhigt sein“, sagte Hamilton, „ich habe nicht die Absicht, Sie je wieder mit albernen Geständnissen dieser Art zu belästigen. Sie haben ganz recht, dass Sie mir nicht zuhören wollen, aber tun Sie mir bitte den Gefallen, auch nicht auf meine nächtlichen Darsteller zu hören. Solche Männer dürfen nicht für mich sprechen.“
„Erinnern Sie mich bitte nicht an meine Dummheit.“
„Wenn ich nur wüsste, wer es war“, sagte Hamilton nachdenklich.
„Sie haben wahrscheinlich Philipp in Verdacht. Aber als ich ihn gestern Abend auf die Szene ansprach, schien er überhaupt nicht zu verstehen, wovon ich spreche.“
„Dann war es also Zedwitz. Es tut mir leid, aber damit ist unsere Freundschaft beendet.“
„Oh nein!“, rief Isabelle. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Graf Zedwitz war, es sieht ihm überhaupt nicht ähnlich. Außerdem hat er nie Französisch mit mir gesprochen … und … und er ist immer so höflich – nein, das kann ich nicht glauben ...“
„Sie wissen so gut wie ich, dass es entweder der Eine oder der Andere gewesen sein muss – kein Anderer könnte einen Grund haben, Ihnen solche Fragen zu stellen. Ich wünschte nur ...“
„Und ich wünsche, dass Sie nicht mehr an diese unangenehme Geschichte denken und nicht mehr darüber sprechen. Philipp weiß angeblich nichts davon, Sie haben also keinen Vorwand, um mit ihm zu streiten. Und Sie haben kein Recht, Graf Zedwitz nur wegen eines Verdachts die Freundschaft zu kündigen.“
„Nur wegen eines Verdachts? Ich werde ihn fragen, ob er am Weihnachtsabend im Treppenhaus war.“
„Er wird sagen, dass er nicht dort war.“
„Wenn er das tut, dann werde ich ihm glauben.“
„Und ich auch“, sagte Isabelle im Weitergehen.
„Sie haben eine hohe Meinung von Zedwitz?“
„Eine sehr hohe, das habe ich Ihnen bereits gesagt.“
„Und von Ihrem Cousin?“
Sie schwieg.
„Und doch pflegen Sie ein vertrautes Verhältnis zu ihm und dulden seine Rhapsodien am Klavier.“
„Er ist mein Cousin – er liebt mich – und – wenn Sie denn alles wissen müssen – ich – ich habe Angst vor ihm.“
„Sie – haben Angst vor ihm?“
„Ja, ich fürchte seine Liebe und seine Eifersucht – seine furchtbaren Ausbrüche der Leidenschaft – seine ständigen Drohungen. Aber sehen Sie, da geht Walburga, ich muss unbedingt gleichzeitig mit ihr zuhause ankommen. Adieu!“
Die Gräfin Zedwitz und ihre Tochter überschütteten Hamilton bei seiner Rückkehr in die Dachkammer mit Dank und wollten ihn unbedingt überreden, wieder mit ihnen nach Edelhof zu kommen, aber er wollte München auf keinen Fall verlassen. Graf Max erholte sich in den nächsten Tagen zusehends und versicherte ihm unter vier Augen, am Weihnachtsabend nicht der rätselhafte Doppelgänger gewesen zu sein. Dann reiste er mit seiner Mutter und seiner Schwester ab, um München für längere Zeit zu verlassen.
16
„Oh Isabelle!“, rief Sophie, die am Fenster des Salons stand. „Sieh nur,
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