Die Versuchung
Sie Mademoiselle Isabelle, dass ich ihr danke und das Amulett tragen werde“, sagte Hamilton.
Am folgenden Tag traf die Gräfin Zedwitz mit Tochter und Schwiegersohn noch vor Sonnenaufgang ein. Sie waren so bewegt, dass sie zunächst kein Wort herausbrachten. Zedwitz war dagegen vollkommen ruhig. „Ich hatte dich erwartet, Mutter“, sagte er, ihre Hand küssend, „ich wusste, dass du kommen würdest. Aber ich wünschte, dass Agnes und ihr Mann zuhause geblieben wären. Sie dürfen nicht hier bleiben.“
Die Gräfin sprach lange mit Doktor Berger und kehrte dann an das Bett ihres Sohnes zurück. Sie sagte ihm, dass sein Vater einen Rheuma-Anfall habe und das Bett hüten müsse, dass er ihn aber gerne sehen würde und bereit sei, die Streitigkeiten zwischen ihnen zu vergessen. Sie hoffe, dass er, sobald es ihm besser gehe, mit ihr nach Edelhof reisen werde. Zedwitz war zu schwach, um sich zu ihren Plänen zu äußern, doch wider Erwarten besserte sich sein Zustand von Stunde zu Stunde und Doktor Berger äußerte die Hoffnung, er könne die Krankheit überstehen. Um sechs Uhr machte sich Hamilton auf den Weg zur Frauenkirche. Es schneite in großen Flocken, die lautlos auf die Erde fielen. Er dachte an Isabelle und daran, ob er sie sehen würde. In der Kirche waren nicht viele Menschen, aber es gab mehrere Altäre und es dauerte eine Weile, bis Hamilton sie entdeckte. Walburga mit ihrem silbernen Riegelhäubchen und einem Korb am Arm stand im Kirchenschiff. Sie blickte umher und nickte von Zeit zu Zeit Bekannten zu. Sie erkannte Hamilton sofort und flüsterte der neben ihr knienden Isabelle etwas zu, worauf diese sich erhob und auf ihn zukam. Sie verließen die Kirche zusammen und ihre ersten Worte waren: „Wie blass und müde Sie aussehen! Ich hoffe, Sie sind nicht krank.“
„Keineswegs“, antwortete Hamilton und es entging ihm nicht, dass ihre Besorgnis vor allem ihm galt. „Ich kann Ihnen sagen, dass es Zedwitz etwas besser geht und nun doch Hoffnung auf Genesung besteht.“
„Ja, Herr Biedermann hat es mir gesagt. Er war so gut, uns zu besuchen, ehe ich das Haus verließ.“
„Sie haben Biedermann gesehen?“
„Ja. – Auch wenn Sie selbst nicht befürchten, sich anzustecken, so müssen Sie doch daran denken, dass Erschöpfung gefährlich ist. Sie haben zwei Nächte durchwacht – und Sie brauchen gewöhnlich viel Schlaf, wie Sie einmal zur Mama gesagt haben.“
„Das war nur eine Entschuldigung, weil ich nicht gerne früh aufstehe“, antwortete Hamilton lächelnd. „Ich werde zu Havard gehen, um mich umzuziehen und zu frühstücken, ehe ich zu Zedwitz zurückkehre. Soll ich ihm etwas ausrichten?“
„Nur meine guten Wünsche“, sagte Isabelle. „Mein Vater teilt übrigens meine Besorgnis um Sie. Er war sehr bekümmert, als er hörte, dass die Mama Sie gewissermaßen aus dem Haus verbannt hat. Was sollten wir Ihrer Familie schreiben, wenn Sie an der Cholera erkranken und nicht richtig gepflegt werden können.“
„Sie meinen im Falle meines Todes? Daran habe ich nie gedacht … Gehen Sie nicht so schnell, ich möchte mit Ihnen sprechen und ich weiß, dass wir uns an der nächsten Ecke trennen müssen. – Wenn ich an der Cholera sterben sollte ...“
„Es ist genug Zeit, darüber zu reden, wenn Sie krank sind.“
„Nein, dann wäre es zu spät. – Würden Sie an meine Schwester schreiben und sich darum kümmern, meine Papiere in Ordnung zu bringen?“
„Scherzen Sie?“
„Absolut nicht. Sie werden in einem Rosenholzkasten eine Anzahl von Papieren und mein Tagebuch finden. Diese Papiere müssen sorgfältig versiegelt und an meine Schwester geschickt werden. Es ist auch ein kleines Porträt dabei ...“
„Ich weiß“, sagte Isabelle.
„Woher wissen Sie das?“, rief Hamilton überrascht.
„Olivia Berger besichtigte eines Abends, als sie in Ihrem Zimmer war, Ihren Toilettenbeutel. Sophie war dabei und hat mir natürlich von dem Porträt erzählt. Ich habe sie oft daran erinnert.“
„Tatsächlich? Darf ich fragen, warum?“
„Um sie daran zu erinnern, dass Sie nicht einmal mehr Ihr Herz zu vergeben haben.“
„Nun, das Original des Porträts besitzt in der Tat einen großen Teil meines Herzens.“
Hamilton hielt inne, weil er sehen wollte, wie Isabelle auf seine Worte reagierte, aber sie ging einfach weiter, ohne ihn anzusehen, und als er schwieg, sagte sie: „Wir sind gleich an der Ecke. Sie brauchen mir nichts von diesen Dingen zu erzählen, aber sagen Sie
Weitere Kostenlose Bücher