Die Versuchung der Hoffnung
dass er genauso schnell weg möchte, wie ich ihn loswerden will. Wenn auch vermutlich aus anderen Gründen.
Mein Nachbar erlöst uns aus diesem peinlich stillen Moment, denn er hält in just diesem Moment mit seinem Pick-up unterm Küchenfenster. Zum Glück war er schnell.
„Dein Taxi ist da … Naja, so etwas Ähnliches zumindest.“ Ich mache eine Kopfbewegung in Richtung des Pick-ups. „Das ist mein Nachbar Ted. Er kann dich bis in den nächsten Ort mitnehmen, ab da sollten alle Straßen soweit geräumt sein, dass du dich abholen lassen kannst.“
John nickt stumm und sein Gesicht ist verschlossen.
„Deine Sachen sind trocken und liegen im Badezimmer, wenn du dich umziehen möchtest. Ich mache für Ted und dich in der Zwischenzeit schnell ein kleines Frühstück zum Mitnehmen zurecht.“
Ein wenig komme ich mir vor wie ein herzloses Miststück. Aber es ist ja nun auch nicht gerade so, als hätte ich ihm gestern meine unsterbliche und ewige Liebe versprochen und ihm im Anschluss unter Vorspielung falscher Tatsachen seine Jungfräulichkeit geraubt. Oder so etwas in der Art.
Dennoch fühle ich mich schlecht, als ich auf Johns Hinterkopf schaue, während er meine Küche verlässt, um sich im Badezimmer umzuziehen.
+++
In seiner Motorradkluft kommt John nach wenigen Minuten umgezogen wieder zurück und sieht einen Mann in den Sechzigern mit einem karierten Hemd und einer warmen Jacke im Hausflur warten. In der Hand hält er einen kleinen Korb, in dem John eine Thermoskanne erkennen kann.
Wenigstens gibt es Kaffee!
Er hatte mit vielem gerechnet, aber dass sie ihn ohne Frühstück einfach wieder vor die Tür setzen würde, ist ihm beim besten Willen nicht in den Sinn gekommen.
Eigentlich kann es ihm ja nur recht sein. Vor nicht einmal zehn Minuten hatte er sich einen Plan ausgesonnen, wie er hier so diskret und so schnell wie möglich verschwinden kann. Aber jetzt fühlt er sich plötzlich ein bisschen wie ein räudiger Köter, den man achtlos vor die Tür setzt.
Immer schön tapfer sein, mein Junge!
Entschlossen geht er auf den Mann zu, der wohl Ted sein muss, und reicht ihm die Hand. Ted scheint freundlich, aber kein Mann großer Worte zu sein. Mit einem kurzen Nicken betrachte t er erst John und dann Hope, die mit verschränkten Armen in der Küchentür lehnt. Sein Blick verändert sich dabei, als wäre er zu irgendeiner aufschlussreichen Erkenntnis gelangt.
„Ich warte am Wagen“, sagt Ted schließlich. Seine Stimme ist dabei immer noch gleichbleibend neutral und er lässt die beiden allein zurück.
Das sich ausbreitende Schweigen ist so still, dass es laut in den Ohren zu dröhnen scheint.
John hat schon den halben Weg zur Tür zurückgelegt, als sein Blick doch noch einmal auf Hope fällt. Mit wenigen schnellen Schritten ist er wieder bei ihr.
„Mach’s gut, meine Schöne!“, flüstert er rau und haucht ihr einen Kuss auf die Schläfe. Dann sprintet er hinter Ted her, der draußen bereits Spanngurte hervorgeholt hat, um mit ihnen das Motorrad auf der Ladefläche des Pick-ups zu befestigen.
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In meiner Küche gibt es einen Platz, von dem aus man nach draußen schauen kann, ohne von dort gesehen zu werden.
Und dort stehe ich und beobachte Ted und Jonathan, die sich abmühen, die schwere Maschine über eine Rampe auf die Ladefläche zu verfrachten. Und ich stehe immer noch dort, als sie schon längst losgefahren und nur noch ihre Fußspuren im Schnee zurückgeblieben sind.
Kapitel 10
Irgendwann fangen meine Augen an wehzutun, weil ich so lang auf den Schnee gestarrt habe, der das Sonnenlicht gleißend hell reflektiert. Müde wende ich mich vom Fenster ab und reibe mir meine schmerzenden Augen.
Zehn Minuten später stehe ich auf dem Laufband in meinem Keller. Draußen laufen zu gehen ist aufgrund des Wetters ja gerade leider nicht drin. Ich muss dringend einen klaren Kopf bekommen und erst einmal verarbeiten, was hier letzte Nacht passiert ist.
John! Verdammter Mist. John war hier und wir hatten Sex!
Egal, wie oft ich den Satz innerlich wiederhole, so wirklich begreifen kann ich es immer noch nicht. Es fühlt sich eher so an, als hätte ich es geträumt und nicht, als wäre es tatsächlich passiert. Ich schnappe mir die kleine Fernbedienung und stelle die Stereoanlage lauter, so laut, bis ich die Bässe der Musik durch meinen Körper wummern fühlen kann, stelle die Geschwindigkeit des Laufbands höher und hoffe, dass die Erschöpfung sich irgendwann einstellen
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