Die Versuchung der Hoffnung
dem Schrank und stelle alles wieder auf den Tisch. Die Routine, die Normalität dieser Handlung beruhigen mich, obwohl mir die Hände dabei zittern. Die Minuten, die wir mit Schweigen verbringen, kommen mir wie Stunden vor. Vielleicht sogar wie Jahre. Erst als ich uns beiden Tee eingeschenkt habe und John den ersten Schluck getrunken hat, scheint wieder Regung in ihn zu kommen.
„Wie alt ist Sam?“ Johns Mimik ist nach wie vor kaum zu deuten.
„Er ist acht.“ Ich trinke einen Schluck Tee, der so heiß ist, dass ich mir die Zunge daran verbrenne, aber ich merke es kaum.
„Ich …“ Er schüttelt den Kopf, dann reibt er sich mit beiden Händen durch sein Gesicht. „Ich muss jetzt gehen.“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, steht er auf, zieht seine Jacke an und geht. Lässt mich einfach stehen.
Obwohl ich das wahrscheinlich irgendwie verdient habe und seine Reaktion wohl sehr verständlich ist, habe ich trotzdem das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden.
Wenn ich genau darüber nachdenke, wird mir auch klar, warum: Irgendwo, in einem gut verborgenen Winkel meines Herzens, hatte ich immer ein bisschen die abstruse Hoffnung, dass John sich freuen würde, dass wir ein gemeinsames Kind haben. Dass uns das eines Tages wieder zusammenbringen würde oder so etwas in der Art. Natürlich sind das Gedanken, die mein analytischer Verstand nie bewusst zugelassen hat. Aber trotzdem tut es jetzt weh. Und dass es mir wehtut, ärgert mich, weil es mir vor Augen führt, wie naiv mein blödes Gefühlsleben manchmal ist.
Jetzt stehe ich hier und starre auf die Haustür, die hinter John ins Schloss gefallen ist. Und als ich den Motor seines Autos anspringen höre, fange ich an zu weinen. So verzweifelt wie seit Jahren nicht mehr. Irgendwie fühlt es sich so an, als hätten John und ich uns erneut voneinander getrennt.
Kapitel 14
Die nächste Woche vergeht noch langsamer und quälender als die vorherige, auch wenn ich das vorher kaum für möglich gehalten hätte. Von John kommt keine Reaktion. Und auch wenn Sam wohl ahnt, dass irgendetwas nicht stimmt, hat er zum Glück zu wenig Ahnung von der Musik, die vor ein paar Jahren mal in war, als dass er John bei ihrer kurzen Begegnung erkannt hätte.
Mir geht es schlecht. Ich kann nicht mehr schlafen und habe keinen Hunger mehr. Ich fühle mich, als würde ich auf ein Todesurteil warten, von dem ich nicht weiß, wann und ob überhaupt es je über mich gefällt werden wird.
Valerie kommt jeden Tag zu mir und tätschelt mir besorgt die Hand. Mein Bruder seufzt, wenn er mich sieht. Meine Eltern beobachten mich besorgt, als sie vorbeikommen, um einen Nachmittag mit Samuel zu verbringen, aber sie fragen vorsichtshalber nicht, was mit mir los ist.
Ich habe mir diese Situation selbst zuzuschreiben, natürlich habe ich das. Hätte ich Jonathan von Anfang an gesagt, was los ist, dann wäre ich jetzt nicht in dieser Situation. Aber ich bin eben nicht nur eine meistens rational denkende Frau, sondern auch eine Mutter. Und als Mutter war es mir unmöglich, das zu tun, was vielleicht das Vernünftigste gewesen wäre.
Als ich am Freitag nichts Böses ahnend dem Postboten die Tür öffne, fühle ich mich, als wäre ich schon halb verrückt geworden. Und als er mir dann ein Einschreiben einer mir nicht bekannten Anwaltskanzlei überreicht, stehe ich kurz davor, komplett durchzudrehen.
So wirklich gut beieinander warst du ja noch nie, Hope.
Als ich mich vorsichtshalber hinsetze, bevor ich den Brief öffne, ist mir speiübel.
Und nachdem ich ihn gelesen habe, bin ich kurz davor, mich zu übergeben.
Johns Anwalt schreibt mir in kurzen und knappen Worten, dass Jonathan Zeit mit seinem Sohn verbringen möchte und sie, sollte ich nicht kooperieren, auch vor Gericht gehen werden, um seine Ansprüche durchzusetzen. Er teilt mir eine Telefonnummer sowie einen Termin mit, an dem Genaueres besprochen werden soll.
Für mich fühlt sich das an wie eine Ohrfeige. Eine ziemlich harte.
Und es ist genau das, was ich immer befürchtet habe. Dass mein scheißreicher Exmann mit seinen hoch bezahlten Anwälten ankommt, um mir mein Kind wegzunehmen. Hätte er nicht einfach mit mir reden können, statt gleich seinen Anwalt einzuschalten?
Du hast ja auch jahrelang nicht mit ihm geredet.
Aber ich habe auch keinen verdammten Anwalt eingeschaltet!
Ich bin gerade furchtbar wütend und habe schreckliche Angst.
Ärgerlich zerknülle ich den Brief und werfe ihn in den Mülleimer, um ihn gleich
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