Die Versuchung der Hoffnung
lasse zu, dass er meine Hand festhält, während er mich nach draußen führt.
Nur wenige Meter vom Bürogebäude entfernt ist ein kleiner Park.
Die kalte, klare Luft tut mir gut. Das Gefühl der Atemnot legt sich und ich beruhige mich wieder ein bisschen.
„Geht’s wieder?“ Johns Stimme ist besorgt.
„Ja. Es war wohl alles ein bisschen zu viel für mich …“
Sein besorgter Blick wird von einem schiefen Lächeln abgelöst.
„Ja, für mich wohl auch.“ Trotz des Lächelns sieht er unendlich müde und traurig aus.
„Ach verdammt, John …“ Ich kämpfe gegen den Impuls an, ihn zu umarmen, weil mir das irgendwie der Situation nicht angemessen erscheint. Stattdessen schlinge ich meine Arme um meinen eigenen Körper.
„Ist dir kalt?“
Noch bevor ich ihm antworten kann, ist er schon dabei, seine Lederjacke auszuziehen und legt sie mir um die Schultern. Sie riecht nach ihm und plötzlich habe ich eine solche Sehnsucht nach seiner Nähe, dass mir schon wieder die Tränen kommen. Und mit Nähe meine ich nicht bloß, ihn in meiner Nähe zu haben, sondern mich ihm nahe fühlen zu können. Richtige, wirkliche Nähe … Das Gefühl, miteinander verbunden zu sein und etwas von sich selbst mit dem anderen zu teilen. Eben so, wie es früher mal zwischen uns gewesen ist.
Dieses Gefühl macht mich traurig und es verstört mich, ich habe keine Ahnung, wie ich damit umgehen soll.
„Hättest du gern Kontakt zu Samuel?“ Um darüber zu sprechen, sind wir schließlich hier, also versuche ich mich auch darauf zu konzentrieren.
„Ja, das hätte ich gern. Ich habe viel darüber nachgedacht. Er ist schließlich mein Sohn.“
Nachdenklich lässt sich John auf eine Bank fallen, ich setze mich neben ihn und verkrieche mich tiefer in seine Jacke.
„Okay.“ Eine Weile lang sagen wir beide nichts und ich schiebe sinnvolle und weniger sinnvolle Dinge, die ich jetzt sagen könnte, in meinem Kopf hin und her. „Könnten wir uns darüber unterhalten, wie das ablaufen soll?“ Das ist zum Glück einer der sinnvolleren Sätze.
„Das wäre mir sehr recht.“
Ich nicke nachdenklich. „Ich würde vor dem ersten Treffen gern mit Samuel sprechen. Und vielleicht könnte ich dabei sein, wenn ihr euch das erste Mal seht? Wäre das in Ordnung für dich?“
„Ich glaube, das würde ich gut finden, ich habe ja keine Ahnung von Kindern. Können wir das eventuell gleich morgen machen? Oder ist dir das zu kurzfristig?“
Mir ist so schnell wie möglich sehr recht, das verkürzt die Zeit, in der ich mir Sorgen und unnötige Gedanken machen muss.
„Nein, das passt schon. Vielleicht gehen wir alle zusammen ins Kino und anschließend etwas essen … Burger und Pommes, wenn du dich gern beliebt machen möchtest.“
Ein nachdenkliches Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht.
„Er ist eben mein Sohn.“
Ich denke an Samuels braune Augen und an seine Gesichtszüge, die denen von John so sehr ähneln.
„Ja, das ist er. Ganz eindeutig.“
Kapitel 16
Unsere Anwälte haben besorgte Mienen aufgesetzt, als wir zurückkommen. A nscheinend mögen sie es nicht, wenn man Dinge ohne Vertrag löst. Aber ich fühle mich deutlich besser als heute Morgen. Ich bin John wirklich dankbar dafür, dass er immer noch einfach John ist. Auch wenn ich ihm nicht ganz so dankbar dafür bin, dass mich „einfach John“ immer noch komplett aus dem Gleichgewicht bringt.
Auf der Fahrt nach Hause überlege ich mir, was ich Samuel jetzt sagen soll. Mir kommen zig verschiedene Ansätze für eine Gesprächseröffnung in den Sinn, die ich alle wieder verwerfe. Als ich zu Hause aus dem Auto steige, bin ich kein bisschen schlauer, und als Sam ein paar Stunden später nach Hause kommt, auch nicht.
„Hi Mom!“ Er wirft seine Schultasche achtlos in die Ecke, aber ausnahmsweise schimpfe ich mal nicht. Das allerdings scheint ihn zu irritieren. Als würde etwas fehlen, bleibt er stehen, denkt einen Moment nach und schaut dann verwundert von seiner in der Ecke liegenden Schultasche zu mir.
Ich sollte dringend daran arbeiten, weniger vorhersehbar zu sein.
„Ist alles in Ordnung mit dir, Mommy?“ Er klingt ernsthaft besorgt.
Die Tatsache, dass mein Sohn sich Sorgen um mich macht, nur weil ich nicht mit ihm schimpfe, entsetzt mich ein bisschen, muss ich zugeben.
„Ja, mit mir ist alles in Ordnung. Wir müssen nur mal reden.“
Auf diese gelangweilte Art, die nur Kinder haben können, die über die unverständlichen Probleme von Erwachsenen
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