Die Versuchung der Hoffnung
geschrieben, Mr. Petterson.“
Bei diesen Worten zuckt John kurz zusammen. Sie hat sich einen Anwalt genommen? Aber gut, er hat ja auch einen. Also ist es im Prinzip nicht verwunderlich. Trotzdem ist es irgendwie ein seltsames Gefühl. Es erinnert ihn schmerzhaft an ihre Scheidung. John ist sich mittlerweile ohnehin nicht mehr so ganz sicher, ob er mit der ganzen Anwaltssache nicht ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen ist. In seiner ersten Verwirrung schien ihm das eine vernünftige Reaktion zu sein, aber inzwischen …
„Ich fürchte, unser Brief ist auf wenig Gegenliebe gestoßen. Meistens ist es bei solchen … Angelegenheiten besser, wenn man sie irgendwie persönlich zu klären versucht.“
Angelegenheiten! Weder Hope noch sein … Sohn sind eine Angelegenheit , aber das scheint ein Detail zu sein, das den offenbar etwas beschränkten Horizont seines sonst sehr zuverlässigen Anwalts übersteigt.
Als er von Hope zurückkam, war er verwirrt und wütend. Er hat einen Sohn und sie hat ihn jahrelang darum gebracht, ihm ein Vater sein zu können. Vielleicht hätte er es vor ein paar Jahren gar nicht gewollt und vielleicht wäre er auch gar nicht dazu in der Lage gewesen. Aber er hätte zumindest gern die Möglichkeit gehabt, das selbst zu entscheiden.
+++
Immer wenn Samuel nachmittags aus der Schule nach Hause kommt, muss ich mich zusammenreißen, um ihn nicht stundenlang zu umarmen, abzuknutschen und dabei in Tränen auszubrechen. Ich habe das völlig irrationale Gefühl, dass John mir meinen Sohn wegnehmen möchte. Was natürlich völliger Schwachsinn ist, denn in dem Brief stand schließlich nur etwas davon, Zeit mit ihm zu verbringen und nichts davon, mir das Sorgerecht wegnehmen zu wollen.
Eigentlich sollte ich mich darüber freuen, dass er einen Vater hat, der Zeit mit ihm verbringen möchte. Aber stattdessen bekomme ich jedes Mal einen halben Panikanfall, wenn ich nur daran denke.
Ich will mit Jonathan reden. Vielleicht geht es mir dann besser. Der Vorsatz, mit John über irgendwas reden zu wollen, scheint zu meinem neuen Standardrepertoire zu gehören und ich kann nicht behaupten, dass mir das sonderlich gut gefällt. Und wenn ich mit Jonathan geredet habe … dann muss ich auch mit Sam reden. Seit Tagen zerbreche ich mir den Kopf darüber, was ich ihm sagen will.
Ich habe Angst davor, dass er von seinem Vater furchtbar enttäuscht sein wird. Denn John ist mittlerweile ja ein Fremder für mich, dessen Verhalten ich kaum noch einschätzen kann. Allein dass er sofort seinen Anwalt eingeschaltet hat, zeigt mir, dass ich ihn kaum noch kenne.
Bis zum Gesprächstermin mit John scheinen Ewigkeiten zu vergehen. Als wir uns in dem nüchternen Büro meines Anwalts treffen, kann ich erkennen, dass John ebenso nervös ist, wie ich es bin.
Und er sitzt genauso schweigend am Tisch wie ich auch. Unsere Anwälte sitzen neben uns und verhandeln über unsere Köpfe hinweg über diese „delikate Angelegenheit“. Sie sprechen über Besuchszeiten und Besuchsrechte und als sie die Feiertage zu verteilen anfangen und irgendetwas über Unterhalt zu erzählen beginnen, wird mir plötzlich alles zu viel. Ich spüre, wie sich in meinen Augen Tränen sammeln und meine Unterlippe anfängt zu zittern, während sich meine Kehle wie zugeschnürt anfühlt.
Nicht heulen, nicht jetzt bitte!
Mühsam versuche ich mich gerade hinzusetzen, die Brust herauszustrecken, tief durchzuatmen, alles zu tun, um die blöden, peinlichen Tränen zu vertreiben. Ich blinzle heftig, aber das furchtbare Gefühl will einfach nicht besser werden. Im Gegenteil, jetzt fühlt es sich auch noch so an, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Ich bekomme Panik, aber ich fühle mich nicht in der Lage, irgendetwas dagegen zu machen.
Als ich eine Hand auf meiner spüre, bin ich zu erstaunt, um meine sofort wegzuziehen. Und noch erstaunter bin ich, dass es Johns Hand ist, die jetzt so beruhigend und warm auf meiner liegt.
„Meine Herren …“, er räuspert sich, bevor er weitersprechen kann „ … wenn Sie uns eine halbe Stunde entschuldigen würden. Ms. Petterson und ich werden jetzt spazieren gehen und die Angelegenheit besprechen. Ich bin mir sicher, dass wir zu einer Einigung kommen werden. Das Ergebnis werden wir Ihnen anschließend gern mitteilen.“
Kurz schaue ich in die Gesichter unserer Anwälte, die gerade nicht minder verwirrt aussehen, als ich es vermutlich tue. Dann lasse ich mich von John von meinem Stuhl hochziehen und
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