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Die Versuchung der Hoffnung

Die Versuchung der Hoffnung

Titel: Die Versuchung der Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Kaiser
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John und mir ist und bleibt auch den Rest des Tages voller Anspannung und die Luft scheint so geladen, dass es mich wundert, dass sie nicht knistert und Funken schlägt.
    Zum Glück ist unser Sohn mit seinen Gedanken schon so sehr mit seinen möglichen Weihnachtsgeschenken beschäftigt, dass er von alldem nichts mitbekommt. Er sitzt die ganze Zeit am Esstisch und plaudert munter vor sich hin, erzählt immer wieder, was er mit diesem oder jenem von seiner Wunschliste anstellen würde, wenn er es denn geschenkt bekäme. John und ich müssen mehr als nur einmal darüber schmunzeln.
    Lediglich als ihm einfällt, dass John ja auf dem Sofa schlafen wird, ist Sam kurz still. Ich glaube, dass er trotz seiner acht Jahre insgeheim doch noch irgendwie an den Weihnachtsmann glaubt und nun Sorge hat, dass dieser sich durch einen schlafenden Mann auf dem Sofa gestört fühlen könnte, wenn er all die vielen Geschenke bringt. Obwohl seine Schulkameraden ihn bereits vor zwei Jahren darüber aufgeklärt haben, dass es den Weihnachtsmann in Wirklichkeit gar nicht gibt, stellt er ihm nämlich trotzdem immer noch Milch und Kekse neben den Kamin im Wohnzimmer. Vermutlich nach dem Motto sicher ist sicher. Natürlich würde Sam das nie zugeben und ich würde ihn niemals derartig bloßstellen und ihn darauf ansprechen. Also lächle ich still in mich hinein, bis Sam seine Weihnachtsmannsorgen wieder vergessen hat und weitererzählt.
    Nach dem Essen stehen Mike und Valerie warm eingepackt vor unserer Tür. Wie jedes Jahr holen sie Sam und mich ab und wir ziehen von Tür zu Tür und singen Weihnachtslieder für unsere Nachbarn, von denen sich dann nach und nach welche anschließen und mitkommen werden. Valerie hat diese Tradition ins Leben gerufen, als wir hierhergezogen sind. Ich bin immer noch erstaunt, dass das in diesem konservativen Kaff, in dem sonst nie jemand von seinen festgefahrenen Regeln abweicht, auf so großen Anklang gestoßen ist. Allerdings war Valeries Überzeugungskraft schon immer legendär, ich sollte das selbst eigentlich am besten wissen.
    „Was genau machen wir da jetzt eigentlich?“, raunt John mir zu, als wir losziehen
    „Singen“, antworte ich ihm ebenso leise.
    „Weihnachtslieder?“ Er klingt ein bisschen entsetzt.
    „Morgen ist schließlich Weihnachten, da ist das doch passend, oder?“ Ich zwinkere ihm zu.
    „Auch wieder wahr.“ Mit verschränkten Armen ergibt er sich in sein Schicksal.
     
    An jedem Haus wird Johns Anwesenheit mit einigem Stirnrunzeln, aber schweigend zur Kenntnis genommen. Ich vermute mal, dass ihn hier niemand erkennen wird – es ist einfach nicht die richtige Zielgruppe für die Musik, die die Sick Theories mal gemacht haben. Nur Ted kann sich ein kurzes, wissendes Lächeln nicht verkneifen und zwinkert uns gut gelaunt zu, als er John sieht. Als Johns schöner, voller Bariton uns aber beim Singen der Weihnachtslieder kräftig unterstützt, verschwindet das Stirnrunzeln meiner lieben Nachbarn bald und wird von einem Lächeln abgelöst. Wäre er der Mann an meiner Seite, wäre ich jetzt glücklich, dass er hier anscheinend gut aufgenommen worden ist.
    Es ist schon dunkel draußen, die Häuser sind alle weihnachtlich geschmückt und glitzern feierlich. Und tatsächlich fallen ein paar erste, zarte Schneeflocken vom Himmel, die alles mit einer hauchdünnen Schicht von Puderzucker überziehen. Es ist fast wie in einem zu kitschig geratenen Weihnachtsmärchen. Vor allem aber ist es wunderschön.
    Bei jedem Haus werden wir freudig erwartet und lächelnde Gesichter blicken uns aus geöffneten Türen entgegen. Fast überall gibt es Kekse für alle, Punsch für die Erwachsenen und heißen Kakao oder Tee für die Kinder.
    Beschwingt, glücklich und deutlich beschwipst kehren wir schließlich nach Hause zurück.
     
    Es ist spät geworden, als Sam endlich eingeschlafen ist und John und ich die Geschenke im Wohnzimmer unter den Baum legen. Lachend finde ich dabei tatsächlich wieder Kekse und Milch, halb hinter dem Baum versteckt. Ich teile sie zufrieden mit John, wir wollen unseren Sohn ja nicht enttäuschen. Der Baum mit den Geschenken darunter sieht wirklich toll aus und wir sind beide sehr zufrieden mit unserem Werk, als wir fertig sind.
    Erschöpft und glücklich fallen wir beide aufs Sofa. Verträumt ruht mein Blick auf dem Weihnachtsbaum, bis ich bemerke, dass Johns Blick auf einmal auf mir haftet.
    Und plötzlich ist sie wieder da, die Anspannung des Tages, das Prickeln, das Kribbeln, das

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