Die Versuchung der Zeit: Hourglass 2 - Roman (German Edition)
fragte mich, ob sich meine Mom, falls sie jemals aus dem Koma erwachen sollte, genauso fühlen würde.
»Dann lass uns dafür sorgen, dass so etwas nie wieder passiert.« Ich nahm ihr die Kaffeetasse aus der Hand und deutete auf ihre Zimmertür. »Am besten, du packst gleich.«
Ich hatte gerade die letzte Tasche in Avas neues Zimmer in unserem Haus getragen, als mein Handy klingelte.
»Hier ist Em«, meldete sie sich, ohne auf ein Hallo zu warten, und redete ohne Atempause weiter. »Nach dem Treffen heute Morgen haben Michael und ich gestritten – ich meine diskutiert –, und jetzt musst du unbedingt in die Stadt kommen.«
»Ich bin kein Paartherapeut.«
Sie prustete verächtlich in ihr Handy. »Komm einfach her. Kennst du das Murphy’s Law?«
7. KAPITEL
A ls ich durch die Tür des Cafés trat, ertönte über mir eine Glocke.
Ich war schon tausendmal am Murphy’s Law vorbeigekommen, hatte es jedoch noch nie von innen gesehen. Ich saß nicht gerne herum und hatte keine Lust, Heißgetränke zu schlürfen und jemandem die Ohren vollzuquatschen. Dennoch genoss ich nun den verführerischen Duft nach Backwerk und frischgemahlenen Kaffeebohnen.
Eindrucksvolle gerahmte Naturaufnahmen schmückten die sonnengelb gestrichenen Wände. In den Regalen drängten sich gebrauchte und neue Bücher, auf den Tischen der Kinderecke lagen Puzzles und Spielsachen.
Ich entdeckte Em und Michael im vorderen Teil des Raums in einer Sitzecke mit dick gepolsterten Sesseln, die mich an die Riesenpilze aus Alice im Wunderland erinnerten.
»Was ist so mysteriös, dass du’s mir nicht am Telefon sagen konntest?«, fragte ich Emerson und ließ mich in einen der Monstersessel fallen.
»Hat sich erledigt«, erwiderte Em und starrte durch die riesige Fensterfront auf die Straße, während sie an einem winzigen Tässchen mit tiefschwarzem Inhalt nippte.
Von der Energie, die ich beim Telefonieren in ihrer Stimme gespürt hatte, war höchstens noch ein Zehntel vorhanden.
»Was ist passiert?«, hakte ich nach.
»Ich habe gedacht, ich wüsste, wie wir Jack finden können.« Sie leerte die Tasse in einem Zug und stellte sie auf den Tisch. »Aber ich habe mich geirrt. Ich war dumm. Und eine schlechte Freundin.«
»Nein, bist du nicht«, versicherte Michael ihr und tätschelte ihr Knie. »Du hast doch nicht aus irgendeinem leichtfertigen Grund gefragt.«
»Sie würde mich niemals bitten, so etwas zu tun.« Das gegenseitige Vertrauen der beiden war so intensiv, dass ich mir wie ein Eindringling vorkam.
Ich trommelte mit den Fingern auf der Tischplatte herum und wünschte, ich hätte irgendetwas zu tun gehabt. »Ich kann wieder gehen, wenn ihr allein …«
»Nein, bleib hier«, sagte Michael und nickte in Richtung Theke. »Gib uns nur ein paar Minuten.«
Ich folgte dem Duft frischer Backwaren. Das Gebäude musste schon recht alt sein, doch alles wirkte überaus sauber und ordentlich, vom auf Hochglanz polierten dunkelbraunen Fußboden bis zu den aufgeräumten Bücherregalen. Als ich die Gebäckvitrine erreichte, beugte ich mich herunter, um den appetitlichen Inhalt hinter der blitzblanken Glasscheibe zu inspizieren.
Doch dann erspähte ich einen Anblick, den ich weitaus verlockender fand als jedes noch so leckere Sahneteilchen.
Diese Rückansicht hätte ich überall wiedererkannt. Erst letzte Nacht hatte ich sie betatscht.
Tiger-Girl war hinter der Theke.
Da ich ahnte, dass sie mir noch nicht verziehen hatte, blieb ich in meiner gebückten Haltung und überlegte fieberhaft, wie ich entkommen konnte, ohne zum Ausgang zu robben. Dann verschwand sie plötzlich aus meinem Sichtfeld, und ich hörte, wie die Schwingtür zum Hinterzimmer des Cafés auf- und zuklappte.
Ich sauste zurück zum Tisch. Emerson und Michael sahen überrascht zu mir auf. »Hört mal, ich muss gehen. Wir können uns ja später noch einmal treffen. Ich werde euch schon finden. In Ordnung?«
Plötzlich merkte ich, dass die beiden ihre Aufmerksamkeit auf etwas richteten, das sich hinter mir befand, und stieß einen leisen Fluch aus.
»Können wir uns kurz hinten unterhalten, Em? Ich muss dir was erklären«, sagte Tiger-Girl, ihre heisere Stimme gefährlich dicht hinter meinem Ohr. »Ich will mich bei dir entschuldigen. Es tut mir so leid …«
»Nein, mir tut es leid«, wurde sie von Em unterbrochen.
Tiger-Girl und Emerson kannten sich offensichtlich!
Als ihr auffiel, dass ich mich nicht vom Fleck gerührt hatte, wollte Em anfangen, uns vorzustellen. Ich
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