Die Versuchung der Zeit: Hourglass 2 - Roman (German Edition)
durchgegangen. Jacks Papiere fehlten«, erklärte Michael entmutigt.
»Macht nichts«, erwiderte Em und umarmte Lily kurz. »War doch nicht anders zu erwarten. Zumindest haben wir die Highschool-Akten, und Lily kann nach der Taschenuhr suchen.«
»Mangelnde Informationen sind nicht das einzige Problem.« Als ich hörte, wie Lily die Stimme versagte, merkte ich, wie nahe sie den Tränen war.
»Als wir zum Auto zurückgekommen sind, haben wir versucht, die Taschenuhr auf der Karte zu finden«, erklärte Michael. »Wir haben’s zwanzig Minuten lang probiert.«
Lily ließ die Arme hängen. »Sie ist verschwunden.«
21. KAPITEL
B eim Verlassen des Peabody Hotels hielt ich Lily die Aufzugtür auf. Wir hatten Emerson angeboten, ihr einen Kaffee mit der Maschine in unserer Suite aufzubrühen, woraufhin sie uns einen Vogel gezeigt hatte.
»Es tut mir leid.« Lilys Schuldbewusstsein erfüllte den Aufzug.
»Hör auf damit.«
Sie lehnte sich an die Aufzugwand, und unsere Blicke trafen sich in der verspiegelten Tür.
»Lily, wir suchen nach einem verzweifelten Mann, der nicht gefunden werden will. Du hast dich aus Freundschaft zu Em an der Suche beteiligt.« Ich drückte die Erdgeschosstaste. »Die Aufgabe, ihn zu finden, lastet nicht nur auf deinen Schultern.«
»Aber es ist, als hätte er sich in Luft aufgelöst. Er ist spurlos von der Karte verschwunden. Wie konnte das so schnell passieren?«
»Ich weiß es nicht, aber wir stecken nicht in einer Sackgasse. Wir haben die Informationen der Highschool, und wir können weiterhin nach Leuten suchen, die Jack damals vielleicht gekannt haben. Und es gibt noch andere Möglichkeiten.«
Die verspiegelte Fahrstuhltür öffnete sich und ließ Lilys traurigen Blick verschwinden. Die Empfangshalle des Peabody Hotels war grandios, fast schon übertrieben vornehm. Überall Marmor und poliertes dunkles Holz. Behagliche Sitzgruppen und leise Jazzmusik im Hintergrund sorgten jedoch für eine einladende Atmosphäre.
An der Rezeption fragte ich nach dem nächsten Coffeeshop, der auf Wunsch der Mädchen zu keiner Kette gehören sollte. Um die örtlichen Gewerbebetriebe zu unterstützen und so weiter.
»Die Straße runter, an der Kreuzung Union und SouthSecond«, teilte ich Lily mit und folgte ihr durch die Lobby. Sie trug Jeans und eine weiße, bestickte Bluse. Obwohl sie weit war und nicht viel Haut zeigte, waren Lilys Kurven durch den leicht durchsichtigen Stoff zu erahnen.
»Ist dir das warm genug?« Ich deutete auf die Bluse, ohne das Kleidungsstück oder Lily direkt anzuschauen.
»Hast du Angst, dass ich mich erkälte?«, fragte sie ein wenig spöttisch.
»Ich wurde zum Gentleman erzogen«, erklärte ich und sah sie immer noch nicht an. »Und so benehme ich mich auch. Meistens.«
»Es geht schon. So weit ist es ja nicht. Wie heißt der Laden, nach dem wir suchen?«
»Kakadu.«
»Kakadu«, wiederholte sie.
»Ja, so heißt er.«
»Wieso macht man hier in Memphis nur so ein Theater mit Vögeln?« Lily zeigte nach draußen auf einen glucksenden Springbrunnen voller Enten. »Die Viecher werden jeden Tag über einen roten Teppich hierhergeführt und abends mit dem Aufzug wieder hoch in ihr Penthouse gebracht. Enten. Mit Penthouse. Auf dem Hoteldach. Ich kapier’s nicht.«
Kalte Luft fegte uns entgegen, als wir ins Freie traten.
Lily rieb sich die Arme.
Ich fing an, mein Hemd aufzuknöpfen.
»Wow, ist das dein Ernst? Hier mitten auf der Straße?«
»Halt die Klappe. Dir ist kalt. Mein Hemd ist aus Flanell, und ich trage ein langärmeliges T-Shirt darunter.« Ich zog das Hemd aus und hielt es Lily hin, als wollte ich ihr in einen Mantel helfen. Als sie nicht reagierte, schüttelte ich es ein wenig.
»Ich will nicht, dass du nur im T-Shirt im Wind herumläufst. Mir ist warm genug.« Sie machte eine abwinkende Handbewegung und ging weiter. »Wir müssen uns beeilen.«
»Lily.« Ich rührte mich nicht von der Stelle.
Sie drehte sich um. »Du lässt nicht locker, was?«
»Nein.«
Sie lächelte schief, bevor sie zurückkam und sich mein Hemd überstreifen ließ. »Danke, das ist sehr nett von dir.«
»Manchmal kann ich auch nett sein.« Ich schob die Hände in die Hosentaschen. »Lass uns gehen. Mir ist kalt.«
Sie wedelte drohend mit den zu langen Ärmeln und knuffte mich, woraufhin ich meine Schritte beschleunigte.
»Okay, ich nehm’s zurück«, sagte Lily und blieb abrupt stehen, als wir unser Ziel erreicht hatten. »Sieh mal, schon wieder ein Vogel.«
Vor dem
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