Die Versuchung der Zeit: Hourglass 2 - Roman (German Edition)
Händen. Ich zog sie von den Zelten und Fressbuden weg, obwohl auch mir der Magen knurrte. »Wir essen später was.«
Langsam schlenderten wir an dem Treiben vorbei und blieben immer auf Abstand zu Poe. Als er eine andere Richtung einschlug und die Pyramide ansteuerte, blieben wir zunächst zurück und behielten ihn im Auge.
Er schenkte der gewaltigen Ramses-Statue am Eingang keine Beachtung und eilte, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf. Lily und ich huschten zum Sockel der Statue und sahen, wie er eine der großen Eingangstüren öffnete und im Inneren verschwand.
»Wie sollen wir ihn jetzt weiterverfolgen?«, fragte ich. »Das ist kein Gebäude, in das man sich unauffällig reinschleichen kann. Jedes kleine Geräusch hallt wider.«
Lily ignorierte mich. Entschlossen marschierte sie die Treppe hinauf und hielt mir die Eingangstür auf, als wäre sie hier zuhause.
»Na schön.«
Sie ließ die Tür hinter mir leise ins Schloss fallen und zeigte nach links. »Da ist er lang.«
»Du verfolgst wieder seine Stiefel, stimmt’s?«
Sie grinste.
»Du liebst das Risiko.« Meine geflüsterten Worte wurden von den Betonwänden zurückgeworfen. »Und du hast Mumm in den Knochen.«
»Verlass dich drauf.« Als sie plötzlich abrupt stehen blieb, wäre ich fast über sie gestolpert. Sie hielt den Finger an die Lippen und deutete auf ein Schild an der Wand. GESCHÄFTSFÜHRUNG .
Niemand war zu sehen. Mein Herz hämmerte so laut, dass ich das Gefühl hatte, jeder könnte es hören. Lily dagegen blieb kühl und gefasst.
Eindrucksvoll.
Sie zog mich den Flur entlang und spähte in jede offene Tür, bevor sie in einen der dahinterliegenden Räume schlüpfte. Es handelte sich um ein gut ausgestattetes, menschenleeres Büro mit wunderschönem Ausblick auf den Mississippi. Und auf Mud Island.
»Was hast du vor?«, fragte ich sie. »Warum bist du hier hineingegangen?«
»Wegen denen da.«
Die linke Wand war mit indirekt beleuchteten Regalen bedeckt, in denen nichts anderes stand als Sanduhren.
Einige sahen ganz gewöhnlich aus, wie die Dinger, die man im Laden kaufen konnte. Andere waren raffinierter gearbeitet. Fein geschliffenes Kristallglas, geschnitzte Holzständer und andere edle Materialien. Der Sand in einigen Exemplaren reflektierte das Licht, wie ich es noch nie gesehen hatte. Er glitzerte wie Diamantstaub.
Ein Stundenglas auf einem Elfenbeinsockel fand ich besonders faszinierend. Ich spürte den starken Drang, es zu berühren, aber ein innerer Instinkt ließ mich gleichzeitig davor zurückschrecken. Dennoch wagte ich mich ein bisschen näher heran.
Und entdeckte, dass die Spindeln, die den oberen mit dem unteren Sockel verbanden, nicht aus Elfenbein waren, sondern aus Knochen. Die aussahen, als stammten sie von einem Menschen.
Die Sockel waren aus winzigen Schädeln geschnitzt, jeder mit schwarzen leeren Augenhöhlen und weit offenem Mund. Die Münder schienen sich zu bewegen. Lockendes Geflüster erfüllte meinen Kopf und wurde lauter und lauter. Ich hob die Hand, um die Sanduhr zu berühren.
»Er kommt.« Als Lily meinen Arm umfasste, wurden die imaginären Stimmen durch reale ersetzt. Hastig zerrte sie mich in einen kleinen Abstellraum und zog die Tür bis auf einen kleinen Spalt hinter uns zu.
Fünf Sekunden später traten Poe und anscheinend eine Frau durch die Bürotür.
Lily hockte in halb sitzender Position zwischen irgendwelchen Kisten, da sie nicht aufrecht stehen konnte. Ich fragte mich, wie lange wir wohl in der Kammer ausharren mussten. Lange würde sie es in dieser unbequemen Stellung bestimmt nicht aushalten, vor allem wenn wir wegrennen mussten, sobald die Tür sich öffnete.
Die Stimme der Frau klang unnatürlich sanft, dennoch war ein herablassender Tonfall nicht zu überhören. »Ich dachte, so etwas wäre deine Spezialität.«
Durch den Türspalt sah ich, wie Poe den Mund verzog, wodurch seine schiefe Nase noch stärker nach links gebogen wurde als an dem Abend, an dem er im Phone Company aufgetaucht war. »Ich habe das Ding erst vor einer Woche in die Finger bekommen. Hör auf, mich wie einen Laufburschen durch die Gegend zu jagen, dann finde ich es schon heraus.«
Ihr Lachen klang ebenfalls sanft. »Deine Fähigkeiten und diese Botengänge sind der einzige Grund, warum du noch am Leben bist.«
»Dann muss ich dir wohl dankbar sein, oder was?« Bei Tageslicht wirkte Poe viel jünger als auf der Kostümparty. »Da ich es nur dir zu verdanken habe, dass ich noch unter den
Weitere Kostenlose Bücher