Die Versuchung
Mann im Honda meine Vergangenheit ausgegraben hat und sie an die Öffentlichkeit bringt, wird Lisa es erfahren. Dann wird sie wissen, daß die eigene Mutter ihr mehr Lügen aufgetischt hat, als mein Dad sich in seinem ganzen Leben hätte ausdenken können. Ich bin hundertmal schlimmer als Benny Tyler und werde mein kleines Mädchen so sicher verlieren, wie morgens die Sonne aufgeht. Ich werde Lisa verlieren!« Nach diesem Ausbruch zitterte LuAnn am ganzen Leib und schlug die Hände vors Gesicht.
»Tut mir leid, LuAnn, so habe ich die Sache nicht betrachtet.« Charlie blickte zu Boden.
LuAnn ließ die Hände sinken und schaute ihn an. Ein fatalistischer Ausdruck lag in ihren Augen. »Und wenn das passiert, wenn Lisa alles erfährt, bin ich erledigt. Im Vergleich dazu kommt mir das Gefängnis wie ein Tag im Park vor. Denn wenn ich mein kleines Mädchen verliere, hat das Leben keinen Sinn mehr für mich. Trotz all dem hier.« Sie machte eine weit ausholende Geste, die das ganze Zimmer umfaßte. »Nicht den geringsten.«
Sie setzte sich wieder und rieb sich die Stirn.
Schließlich brach Charlie das Schweigen. »Riggs hat die Kennzeichen von beiden Autos.« Er befingerte sein Hemd und fügte hinzu: »Der Mann ist ein Exbulle, LuAnn.«
LuAnn stützte den Kopf in die Hände und schaute ihn an. »Großer Gott. Und ich dachte, schlimmer könnte es nicht kommen.«
»Keine Angst. Wenn er dein Kennzeichen überprüfen läßt, wird er nur auf den Namen Catherine Savage, auf diese Adresse und auf die legale Sozialversicherungsnummer stoßen. Deine Identität ist vollkommen hieb- und stichfest. Nach all dieser Zeit kann dir nichts mehr geschehen.«
»Meinst du? Ich fürchte, es gibt da ein kleines Problem, Charlie. Den Kerl im Honda.«
Charlie nickte knapp. »Ja, ja, okay. Aber ich spreche von Riggs. Soweit es ihn betrifft, kann dir nichts passieren.«
»Aber vielleicht redet der andere Kerl, wenn Riggs ihn aufspürt, und …«
»Dann haben wir möglicherweise ein Problem«, beendete Charlie den Satz.
»Meinst du, Riggs tut das?«
»Keine Ahnung. Aber ich weiß, daß er dir das Märchen nicht abgekauft hat … von wegen, daß du keinen Verfolger bemerkt hast. Unter den gegebenen Umständen mache ich dir keinen Vorwurf, daß du es nicht zugegeben hast, aber Riggs war früher Bulle. Verdammt, er muß mißtrauisch werden. Ich glaube nicht, daß er die Sache so einfach auf sich beruhen läßt.«
LuAnn schob sich das Haar aus der Stirn. »Und was sollen wir jetzt tun?«
Charlie nahm liebevoll ihre Hände. »Du tust gar nichts. Du läßt den alten Charlie mal sehen, was er herausfindet. Wir waren doch schon öfters in der Klemme und sind heil rausgekommen, oder?«
Sie nickte zögernd und leckte sich nervös die Lippen. »Aber diesmal sitzen wir wahrscheinlich so tief in der Patsche wie nie zuvor.«
Matt Riggs stieg schnell die Stufen zum Eingang des alten viktorianischen Hauses hinauf, dessen rundum laufende Veranda er im vergangenen Jahr gewissenhaft restauriert hatte. Riggs hatte einige Jahre als Schreiner und Zimmermann gearbeitet, ehe er nach Charlottesville gekommen war. Er hatte diese Jobs angenommen, um den Streß abzubauen, den sein früherer Beruf mit sich gebracht hatte. Doch im Augenblick dachte er nicht an die anmutige Schönheit seines Hauses.
Er ging durch den Flur zu seinem Büro, denn er führte von zu Hause aus seine Geschäfte. Er schloß die Tür, griff zum Telefon und rief einen alten Freund in Washington an. Der Honda hatte ein Washingtoner Nummernschild. Riggs war ziemlich sicher, was die Überprüfung ergeben würde: Der Wagen war gemietet oder gestohlen.
Mit dem BMW war es eine andere Sache. Doch zumindest würde er den Namen der Frau herausfinden. Auf der Heimfahrt war ihm plötzlich aufgegangen, daß weder der Mann, der sich Charlie nannte, noch die Frau je ihren Namen erwähnt hatten. Riggs vermutete, daß der Nachname Savage lautete und daß die Frau im BMW entweder Lisa Savages Mutter oder – ihres jugendlichen Aussehens wegen – eine ältere Schwester war.
Eine halbe Stunde später hatte Riggs die Antworten. Der Honda war tatsächlich in der Bundeshauptstadt gemietet worden, vor zwei Wochen, und zwar auf den Namen Tom Jones. Tom Jones! Wirklich clever, dachte Riggs. Die angegebene Adresse war bestimmt ebenso falsch wie der Name, da war er sicher. Eine Sackgasse. Er hatte nichts anderes erwartet.
Dann starrte Riggs auf den Namen der Frau, den er auf einen Zettel geschrieben hatte.
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