Die Versuchung
Catherine Savage. Geboren in Charlottesville, Virginia. Alter: dreißig. Sozialversicherungsnummer überprüft. Jetzige Anschrift zutreffend: Wicken’s Hunt. Ledig. Exzellente Kreditwürdigkeit. Keine Vorstrafen. In ihrer gesamten Vorgeschichte war nirgends eine rote Alarmflagge zu entdecken. Nach einer halben Stunde hielt Riggs ein gutes Stück ihrer Vergangenheit in der Hand. Computer waren eine tolle Sache. Und dennoch …
Er sah wieder auf ihr Alter. Dreißig Jahre. Er dachte zurück an die Villa und den riesigen Grundbesitz, hundertfünfzig Hektar bestes Land. Er wußte, daß der geforderte Kaufpreis für Wicken’s Hunt sechs Millionen Dollar betragen hatte. Mit viel Glück hatte Catherine Savage das Anwesen für einen Preis zwischen vier und fünf Millionen bekommen, doch die Renovierungskosten dürften noch einmal locker eine siebenstellige Summe betragen haben. Jedenfalls, wenn die Gerüchte stimmten. Woher, zum Teufel, hatte eine so junge Frau so viel Geld? Sie war kein Filmstar, keine Rocksängerin, keine Erbin eines bekannten Industriemagnaten. Der Name Catherine Savage sagte ihm nichts.
Oder besaß Charlie das Geld? Die beiden waren nicht verheiratet, soviel stand fest. Charlie hatte gesagt, er gehöre zur Familie, aber irgend etwas stimmte da nicht.
Riggs lehnte sich zurück, zog eine Schreibtischschublade auf, nahm zwei Aspirin heraus und schluckte sie, da sein Hals wieder steif wurde. Möglich, daß die Frau ein Vermögen von ihrer Familie geerbt hatte oder daß sie die schwerreiche Witwe irgendeines alten Geldsacks war. Wenn er sich ihr Gesicht vor Augen rief … diese Erklärung lag nahe. Sehr viele Männer würden diese Frau mit allem überschütten, was sie besaßen.
Und was nun? Riggs schaute aus dem Fenster seines Büros auf die herbstliche Schönheit der Bäume, die in leuchtenden Farben prangten. Alles lief gut für ihn: Er hatte seine unglückliche Vergangenheit hinter sich gelassen. Er besaß eine gutgehende Firma an einem Ort, den er liebte. Er führte ein ruhiges, unauffälliges Leben und hatte die Aussicht, dieses Leben noch viele Jahre gesund und in Wohlstand genießen zu können. Und jetzt das!
Riggs hielt den Zettel mit dem Namen Catherine Savage in Augenhöhe. Obgleich er keinen triftigen Grund hatte, sich über diese Frau den Kopf zu zerbrechen, war seine Neugier angestachelt.
»Wer, zum Teufel, bist du, Catherine Savage?«
KAPITEL 25
»Na, bist du bald soweit, Schatz?« LuAnn steckte den Kopf ins Zimmer und blickte liebevoll auf den Rücken des Mädchens, das sich fertig ankleidete.
Lisa schaute ihre Mutter an. »So gut wie.«
Mit ihrem Gesicht und dem athletischen Körperbau, einem Abbild LuAnns, war Lisa Savage der einzige unveränderliche Orientierungspunkt im Leben ihrer Mutter.
LuAnn betrat das Zimmer, schloß die Tür und setzte sich aufs Bett. »Miss Sally sagt, daß du nicht viel gefrühstückt hast. Fühlst du dich nicht gut?«
»Ich schreib’ heute eine Klassenarbeit. Ich bin wohl ein bißchen nervös.« Daß Lisas Aussprache unzählige Spuren verschiedener Dialekte und Akzente aufwies, war eines der Ergebnisse des Lebens auf der ganzen Welt. Es war eine anziehende Mischung. Allerdings hatten ein paar Wochen in Virginia bei Lisa bereits die ersten Ansätze eines leichten Südstaatenakzents hervorgebracht.
LuAnn lächelte. »Ich hätte eigentlich gedacht, daß du nach so vielen Einsen überhaupt nicht mehr nervös wirst.« Sie berührte die Schulter ihrer Tochter. In den zehn Jahren des ständigen Reisens hatte LuAnn all ihre Energie und viel Geld darauf verwendet, sich zu einer Persönlichkeit umzuformen, die sie stets hatte sein wollen – ein Mensch, der so weit wie möglich vom weißen Abschaum aus dem Süden entfernt war, der den Namen LuAnn Tyler trug.
Inzwischen war LuAnn eine gebildete Frau, die zwei Fremdsprachen gelernt hatte und stolz darauf war, daß ihre Tochter sogar vier Sprachen beherrschte und sich in China ebenso zu Hause fühlte wie in London. In den letzten zehn Jahren hatte sie mehr erlebt, mehr von der Welt gesehen als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben. Wenn LuAnn daran dachte, wie der heutige Morgen verlaufen war, war das vielleicht gut so. Lief ihre Zeit ab?
Lisa zog sich fertig an und setzte sich mit dem Rücken zur Mutter. LuAnn nahm eine Bürste und frisierte ihre Tochter. Es war ein tägliches Ritual, das es beiden erlaubte, sich zu unterhalten und zu erfahren, was der andere dachte oder erlebt hatte.
»Ich kann
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