Die Versuchung
bekam.
»Ich freue mich, daß Sie gekommen sind«, sagte sie. Riggs schüttelte die dargebotene Hand. Wieder erstaunte ihn die Kraft, die er in ihrem Griff spürte. Ihre langen Finger schienen seine große, schwielige Hand zu verschlucken. »Ich weiß, daß Bauunternehmer während des Tages zahlreiche Notfälle haben. Sie können nie selbst über Ihre Zeit bestimmen.«
Riggs betrachtete die Wände und die Decke der Bibliothek. »Ich habe von den Renovierungsarbeiten gehört, die Sie hier ausführen ließen. Ganz gleich, wie gut die Handwerker sind, bei einem so großen Projekt tritt immer irgendwo ein Fehler auf.«
»Charlie hat sich um die ganze Sache gekümmert. Aber ich glaube, es ist alles ziemlich glatt gelaufen. Jedenfalls bin ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden.«
»Das glaube ich Ihnen gern.«
»Der Lunch ist in ein paar Minuten fertig. Sally serviert auf der hinteren Veranda. Im Speisezimmer haben fünfzig Leute Platz. Das wäre für drei Personen ein bißchen zu bombastisch, nicht wahr? Möchten Sie zuvor einen Drink?«
»Nein, danke.« Riggs deutete auf die Fotos. »Ist das Ihre Tochter? Oder Ihre jüngere Schwester?«
LuAnn wurde rot, setzte sich aber erst auf die Couch, ehe sie antwortete. »Meine Tochter Lisa. Sie ist zehn. Ich kann nicht glauben, daß die Jahre so schnell vergangen sind.«
Riggs musterte sie. »Sie haben Ihre Tochter offenbar als sehr junge Frau bekommen.«
»Ich war vermutlich jünger, als ich hätte sein sollen. Aber ich möchte Lisa um nichts auf der Welt missen. Sie ist mein ein und alles. Haben Sie Kinder?«
Riggs schüttelte schnell den Kopf und blickte auf seine Hände. »Nein, das Glück habe ich nie gehabt.«
LuAnn hatte bemerkt, daß er keinen Ehering trug, doch manche Männer trugen ihn niemals. Sie vermutete, daß ein Mann, der den ganzen Tag mit den Händen arbeitete, den Ring vielleicht aus Sicherheitsgründen nicht trug.
»Ihre Frau …«
»Ich bin geschieden«, unterbrach er sie. »Seit fast vier Jahren.« Riggs schob die Hände in die Taschen und sah sich wieder im Zimmer um. Er spürte, wie ihre Blicke den seinen folgten. »Und Sie?« fragte er und schaute LuAnn wieder an.
»Verwitwet.«
»Das tut mir leid.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Es ist schon lange her«, erwiderte sie nur. In ihrer Stimme war ein Beiklang, der Riggs verriet, daß die Jahre diesen schweren Schicksalsschlag nicht hatten mildern können.
»Mrs. Savage …«
»Bitte, sagen Sie Catherine zu mir.« Sie lächelte schelmisch. »Wie alle meine engen Freunde.«
Er lächelte zurück und setzte sich neben sie. »Und wo ist Charlie?«
»Er ist noch unterwegs. Hat noch einige Dinge zu erledigen. Aber er ißt mit uns zu Mittag.«
»Ist er Ihr Onkel?«
LuAnn nickte. »Seine Frau ist vor mehreren Jahren gestorben. Auch meine Eltern sind beide tot. Wir sind die einzigen aus der Familie, die noch leben.«
»Ich nehme an, Ihr Mann war geschäftlich sehr erfolgreich. Oder Sie selbst? Ich möchte nicht unhöflich sein … oder chauvinistisch.« Plötzlich grinste Riggs. »Oder hat einer von Ihnen in der Lotterie gewonnen?«
LuAnns Hand krampfte sich um die Lehne der Couch, doch sie erwiderte in beiläufigem Tonfall: »Mein Mann war ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann. Nach seinem Tod war ich mehr als gut versorgt, wie Sie sehen können.«
»Daran besteht kein Zweifel«, stimmte Riggs ihr zu.
»Und Sie? Haben Sie Ihr ganzes Leben hier verbracht?«
»Aber, aber. Nach meinem gestrigen Besuch hier hatte ich eigentlich damit gerechnet, daß Sie mein Vorleben gründlich überprüft haben.«
»Tut mir leid, aber ich verfüge nicht über die Quellen, die Ihnen offenbar zur Verfügung stehen. Ich hätte nicht geglaubt, daß Bauunternehmer ein so gutes Informationsnetz besitzen.« Ihre Augen blieben auf ihn gerichtet.
»Ich bin vor ungefähr fünf Jahren hierher gezogen und habe bei einem hiesigen Bauunternehmer mein Handwerk erlernt. Als der Mann vor drei Jahren starb, habe ich meine eigene Firma gegründet.«
»Fünf Jahre. Dann hat Ihre Frau also ein Jahr hier mit Ihnen gelebt.«
Riggs schüttelte den Kopf. »Die Scheidung war vor vier Jahren rechtskräftig, aber wir lebten schon vierzehn Monate zuvor getrennt. Sie ist immer noch in Washington. Wahrscheinlich wird sie dort auch bleiben.«
»Ist sie in der Politik?«
»Anwältin. Große Kanzlei. Sie hat einige Mandanten, die politisch tätig sind. Sie ist sehr erfolgreich.«
»Dann muß sie tüchtig sein. Der Anwaltsberuf ist
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