Die Versuchung
dabei anschaute. Das kleine Mädchen wurde ganz ruhig und blickte ihn mit großen Augen an. »Sie sieht Ihnen sehr ähnlich. Ich hoffe, Sie hat auch Ihren Verstand geerbt.« Als LuAnn hinausging, fügte er hinzu: »Danke, daß Sie gekommen sind, LuAnn. Einen schönen Tag noch.«
»Wieso werde ich das dumme Gefühl nicht los, daß Sie überhaupt nicht Jackson heißen?« sagte sie und blickte ihn durchdringend an.
»Ich hoffe sehr, bald von Ihnen zu hören, LuAnn. Ich sehe es gern, wenn Menschen Gutes widerfährt, die es verdient haben. Sie nicht?« Leise schloß er die Tür hinter ihr.
KAPITEL 4
Auf dem Heimweg hielt LuAnn den Zettel mit der Telefonnummer und Lisa gleichermaßen fest an sich gepreßt. Sie hatte das unangenehme Gefühl, daß alle Mitreisenden im Bus genau wußten, was sie gerade erlebt hatte, und sie deshalb scharf verurteilten. Eine alte Frau in einem abgetragenen Mantel und rutschenden Strümpfen, die bis zu den Knien Laufmaschen hatten, hielt ihre Plastik-Einkaufstüten fest und musterte LuAnn mit stechendem Blick, als würde sie tatsächlich etwas über das Gespräch mit Jackson wissen. Doch es konnte ebensogut sein, daß sie LuAnn nur um ihre Jugend, ihr Aussehen und die hübsche Tochter beneidete.
LuAnn lehnte sich im Sitz zurück und stellte sich ihr Leben vor, je nachdem, ob sie ja oder nein zu Jacksons Vorschlag sagte. Im Fall einer Ablehnung trugen alle Konsequenzen irgendwie Duanes Züge, doch eine Zusage erschien LuAnn auch nicht problemlos. Sollte sie tatsächlich in der Lotterie gewinnen und unglaublich reich werden, könnte sie alles haben, was sie wollte. Das hatte der Mann gesagt. Alles! Überall hinfahren. Alles tun. Mein Gott!
Bei dem Gedanken, daß ein einziges Telefonat ihr in vier Tagen diese schrankenlose Freiheit bringen könnte, wäre sie am liebsten vor Freude laut jubelnd durch den Bus gelaufen. Sie glaubte nicht mehr, daß alles nur ein schlechter Scherz oder ein verrückter Plan sei. Jackson hatte kein Geld verlangt. Sie hätte ihm auch keins geben können. Er hatte auch nicht den kleinsten Hinweis gegeben, daß er sexuelle Gefälligkeiten von ihr wollte. Allerdings hatte er ihr noch nicht die endgültigen Bedingungen erklärt. Doch sie hatte bei Jackson nicht den Eindruck, daß er sexuell an ihr interessiert war. Er hatte nicht mal versucht, sie anzufassen. Er hatte auch nichts über ihr Aussehen gesagt, jedenfalls nicht direkt. Er schien es in jeder Hinsicht rein geschäftlich und ernst zu meinen. Möglich, daß er ein Verrückter war, aber dann war es ihm auf alle Fälle großartig gelungen, ihr gegenüber völlig normal zu erscheinen. Außerdem kostete es Geld, das Büro zu mieten und die Empfangsdame zu bezahlen. Falls Jackson ein Irrer war, hatte er lichte Momente, soviel stand fest. LuAnn schüttelte den Kopf. Und er hatte die genauen Gewinnzahlen genannt, ehe dieses verdammte Ziehungsgerät sie ausgespuckt hatte. Das konnte sie nicht bestreiten.
Wenn Jackson also die Wahrheit sagte, war der einzige Haken an der Sache, daß sein Vorschlag sich irgendwie illegal anhörte und einen Beigeschmack von Betrug besaß, von üblen Machenschaften, über die LuAnn lieber gar nicht erst nachdenken wollte. Und da lag der Hund begraben. Was war, wenn sie mitmachte und erwischt wurde und die Wahrheit herauskam? Vielleicht würde sie für den Rest ihres Lebens in den Knast wandern. Was würde dann aus Lisa?
Plötzlich fühlte sie sich hundeelend. Wie die meisten Menschen hatte auch sie oft von dem Topf voller Gold geträumt. Dieses Traumbild hatte sie durch viele hoffnungslose Zeiten getragen, wenn sie in Selbstmitleid zu ertrinken drohte. Doch in ihren Träumen war an dem Topf voller Gold keine Kette mit einer Eisenkugel.
»Verdammt!« fluchte sie leise. Sie stand vor der Wahl zwischen Himmel und Hölle, so einfach war das. Und was waren Jacksons Bedingungen? Sie war sicher, daß der Mann einen hohen Preis dafür verlangen würde, sie von einer Frau ohne einen Cent in eine Prinzessin zu verwandeln.
Was würde sie tun, wenn sie das Angebot annahm und tatsächlich in der Lotterie gewann? Welche Möglichkeiten ihr das Geld eröffnete, war leicht zu sehen, zu spüren und zu hören. Aber die Möglichkeiten in die Tat umzusetzen stand auf einem ganz anderen Blatt. Die Welt bereisen? Sie war nie aus Rikersville herausgekommen, und das Kaff war nur wegen seiner jährlichen Landwirtschaftsausstellung mit Jahrmarkt und seiner stinkenden Schlachthöfe wegen bekannt. LuAnn konnte an
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