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Die Versuchung

Die Versuchung

Titel: Die Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Baldacci
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Matt Riggs in ihren Gedanken. Sie hielt die Augen fest geschlossen. Die Finger ihrer rechten Hand massierten kreisförmig die Nabelgegend. Ihr Atem wurde heftiger. Im Rauschen des Wassers ging ihr leises Stöhnen unter. Eine große Träne lief ihr über die Wange, bis sie fortgespült wurde.
    Zehn Jahre. Zehn verfluchte Jahre. Die Finger ihrer Hände berührten sich, legten sich ineinander wie die Zahnräder einer Uhr. Langsam, methodisch, regelmäßig. Vor und zurück …
    Sie richtete sich so ruckartig auf, daß sie sich beinahe den Kopf an der Dusche gestoßen hätte.
    »Du meine Güte, LuAnn!« rief sie sich selbst zur Ordnung. Sie drehte das Wasser ab und stieg aus der Duschkabine, setzte sich auf den Toilettendeckel und ließ den Kopf zwischen die Knie hängen. Erregung und Schwindelgefühl verebbten allmählich. Ihr triefendes Haar war über die langen, nackten Beine gebreitet. Der Fußboden wurde naß, als das Wasser ihren Körper hinunterrann. Sie schaute zur Dusche, von schlechtem Gewissen erfüllt. Ihre Rückenmuskeln strafften sich, die Venen an den Armen schwollen an. Es war nicht leicht. Es war wirklich nicht leicht.
    Als LuAnn aufstand, hatte sie weiche Knie. Sie trocknete sich ab und ging ins Schlafzimmer.
    Inmitten der kostbaren Möbel befand sich ein altvertrauter Gegenstand im Schlafzimmer. Die Uhr, die ihre Mutter ihr geschenkt hatte, funktionierte immer noch. Als LuAnn dem Ticken lauschte, beruhigten ihre aufgewühlten Nerven sich langsam wieder. Gott sei Dank, daß sie die Uhr noch schnell eingepackt hatte – damals, vor so vielen Jahren, im Wohnwagen, ehe sie beinahe ermordet worden wäre. Noch heute lag sie oft wach und lauschte den unregelmäßigen Geräuschen. Die Uhr ließ jedes dritte Ticken aus, und gegen fünf Uhr nachmittags klang sie, als würde jemand leicht auf ein Becken schlagen. Die Räder und Federn waren müde, als wären die Innereien der Uhr erschlafft; dennoch war es so, als würde man einen alten Freund auf einer altersschwachen Gitarre spielen hören, mit disharmonischem Klang, der aber Trost spendet und ein bißchen Frieden brachte.
    LuAnn zog einen Slip an und ging zurück ins Bad, um sich die Haare zu trocknen. Als sie in den Spiegel blickte, sah sie das Bild einer Frau, die an einer Schwelle stand. Einer Schwelle zu was? Wahrscheinlich einer Katastrophe. LuAnn fragte sich, ob sie einen Psychologen aufsuchen sollte. Aber mußte man bei einer Therapie nicht die Wahrheit sagen, damit sie etwas brachte? Stumm stellte LuAnn ihrem Spiegelbild diese Frage. Nein, keine Psychotherapie. Sie mußte allein damit fertigwerden. Wie immer.
    Mit dem Finger zog sie die Narbe am Kinn nach und spürte jede Verdickung der zerschnittenen Haut. Dabei durchlebte sie noch einmal die schmerzlichen Ereignisse in ihrer Vergangenheit. Vergiß niemals, daß alles Betrug ist, sagte sie sich. Alles Lüge.
    Ihr Haar war trocken. Gerade wollte sie zurück ins Schlafzimmer gehen und sich ins Bett sinken lassen, als ihr Lisas Worte wieder einfielen. Sie durfte diese Ablehnung, diesen Zorn ihrer Tochter nicht über Nacht schwären lassen. Sie mußte noch einmal mit Lisa reden. Mußte es wenigstens versuchen.
    Sie ging ins Schlafzimmer, um den Morgenrock anzuziehen, ehe sie zu Lisa ging.
    »Hallo, LuAnn.«
    LuAnn erschrak so heftig, daß sie sich am Türrahmen festhalten mußte, sonst wäre sie zu Boden gesunken. Als sie ihn anstarrte, spürte sie, daß die Gesichtsmuskeln ihr nicht mehr gehorchten. Sie konnte nicht einmal antworten, so, als hätte sie einen Schlaganfall erlitten.
    »Es ist lange her.« Jackson verließ den Platz am Fenster und setzte sich auf die Bettkante.
    Seine ungezwungenen Bewegungen lösten LuAnn aus ihrer Starre. »Wie … sind Sie hereingekommen?«
    »Unwichtig.« Die Worte und der Tonfall waren ihr auf Anhieb vertraut. All die Jahre rasten in dermaßen atemberaubendem Tempo an ihr vorüber, zurück in die Vergangenheit, daß diese Empfindung sie beinahe in die Ohnmacht trieb.
    »Was wollen Sie?« LuAnn preßte die Worte hervor.
    »Ah, das ist endlich mal eine Frage von Bedeutung. Aber wir haben so viel zu besprechen, daß ich Ihnen vorschlagen möchte, doch etwas anzuziehen, damit Sie sich wohler fühlen.« Anzüglich starrte er auf ihren nackten Körper.
    Es fiel LuAnn unendlich schwer, den Blick von Jackson zu lösen. Halbnackt vor diesem Mann zu stehen war ihr weniger unangenehm, als ihm den Rücken zuzukehren. Schließlich riß sie die Tür des Wandschranks auf, nahm einen

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