Die Versuchung
Schulter. LuAnn zitterte. Sie antwortete ihm nicht. Sie blickte starr über seine Schulter. Riggs fuhr herum. Er rechnete damit, Jackson auf sie zustürmen zu sehen, Fleischermesser in beiden Händen. Doch das Restaurant war immer noch fast leer. Plötzlich fiel Riggs’ Blick auf den Fernseher. Eine Nachrichtensondersendung lief.
Auf dem Bildschirm war das Gesicht einer Frau zu sehen. Vor zwei Stunden war Alicia Crane, eine bekannte Washingtoner Bürgerin, von ihrer Haushälterin tot in ihrer Wohnung aufgefunden worden. Die bisherigen Hinweise deuteten darauf hin, daß sie ermordet worden war. Riggs’ Augen wurden groß, als er den Reporter sagen hörte, daß Thomas Donovan, Hauptverdächtiger beim Mord an Roberta Reynolds, offensichtlich ein enger Freund Alicia Cranes gewesen sei.
LuAnn konnte die Augen nicht von diesem Frauengesicht abwenden. Sie hatte diese Züge schon einmal gesehen, und diese Augen – auf der Veranda des Cottage. Damals, als sie zum ersten und einzigen Mal Jacksons Gesicht gesehen hatte.
Sein wahres Gesicht.
Damals war es ihr eiskalt über den Rücken gelaufen, als sie dieses Gesicht gesehen hatte. Nein – als ihr klargeworden war, was sie gesehen hatte. Sie hatte gehofft, nie mehr in diese Augen schauen zu müssen. Jetzt starrte sie hinein. Sie waren auf dem Bildschirm.
Als Riggs LuAnn wieder anschaute, deutete sie mit zitterndem Finger auf den Fernseher. »Das ist Jackson«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Er ist als Frau verkleidet.«
Riggs blickte zum Fernseher. Das kann niemals Jackson sein, dachte er. »Woher weißt du das? Du hast gesagt, er sei immer verkleidet gewesen.«
LuAnn konnte den Blick nur mit Mühe vom Fernseher lösen. »Im Cottage, als ich mit ihm durchs Fenster gestürzt bin. Wir haben gekämpft, und sein Gesicht – aus Plastik oder Gummi oder sonst etwas – löste sich. Da habe ich sein wirkliches Gesicht gesehen. Dieses Gesicht.« Wieder zeigte sie zum Bildschirm.
Riggs’ erster Gedanke war richtig. Verwandschaft? Großer Gott, war das möglich? Die Verbindung zu Donovan konnte kein Zufall sein – oder doch? Er stürmte zum Telefon.
»Tut mir leid, daß ich Ihre Jungs abgehängt habe, George. Ich hoffe, es hat Sie keine Pluspunkte an höherer Stelle gekostet.«
»Wo stecken Sie?« wollte Masters wissen.
»Hören Sie mir zu.« Riggs berichtete über die Nachrichtensendung, die er soeben gesehen hatte.
»Sie glauben also, daß Jackson mit Alicia Crane verwandt ist?« fragte Masters aufgeregt. Sein Zorn auf Riggs war für den Moment verflogen.
»Es wäre möglich. Vom Alter her könnte es stimmen. Vielleicht ist er der ältere oder jüngere Bruder. Ich weiß es nicht.«
»Dank sei Gott für starke Gene!«
»Wie sieht Ihr Schlachtplan aus?«
»Wir überprüfen die Angehörigen der Ermordeten. Das dürfte nicht allzu schwierig sein. Ihr Vater war jahrelang Senator der Vereinigten Staaten. Sehr bekannte Familie. Wenn sie Brüder, Vettern oder sonstwas hat, werden wir das sehr schnell wissen und die Betreffenden zur Befragung vorladen. Teufel auch, es kann auf keinen Fall schaden.«
»Ich glaube nicht, daß Jackson wartet, bis Sie an seine Haustür klopfen.«
»Das tun Verbrecher nie, stimmt’s?«
»Falls er in der Nähe ist, sollten Sie lieber vorsichtig sein, George.«
»Ja, schon gut. Wenn Sie recht haben …«
Riggs beendete den Satz: »Dann hat der Kerl seine eigene Schwester ermordet. Und dann möchte ich lieber nicht erleben, was er mit jemandem anstellt, der nicht zu seiner Familie gehört.«
Riggs legte auf. Zum erstenmal hegte er tatsächlich Hoffnung. Er gab sich nicht der Illusion hin, daß Jackson noch in der Gegend war, so daß die FBI -Agenten ihn sich schnappen konnten. Er war aufgeflogen, abgeschnitten von seiner Basis. Mit Sicherheit war er stinkwütend und schmiedete irgendwo Rachepläne.
Nun, sollte er ruhig. Er würde Riggs das Herz herausschneiden müssen, ehe er an LuAnn herankam. Und sie beide würden ihm keine festen Ziele bieten. Jetzt war es an der Zeit, ständig in Bewegung zu bleiben.
Zehn Minuten später saßen sie wieder im Auto und fuhren mit unbestimmtem Ziel weiter.
KAPITEL 54
Jackson stieg in die Maschine der Delta Airlines nach New York. Er brauchte zusätzliche Ausrüstungsgegenstände und wollte Roger abholen. Er konnte sich nicht darauf verlassen, daß sein dämlicher Bruder allein dort ankam, wo er ankommen sollte. Darum würde er mit Roger gemeinsam zurück nach Süden reisen.
Während des kurzen
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