Die Versuchung
gab.
Sorgfältig und methodisch legte Jackson wieder die Verkleidung an. Dabei warf er immer wieder verstohlene Blicke auf seine tote Schwester. Da er seine Hände mit einer lackähnlichen Substanz bestrichen hatte, brauchte er sich keine Sorgen zu machen, Fingerabdrücke hinterlassen zu haben.
Er verließ das Haus durch die Hintertür. Man würde Alicia bald finden. Sie hatte gesagt, die Haushälterin wäre fortgegangen, um Besorgungen zu machen. Die Chancen standen sehr gut, daß die Polizei davon ausging, Thomas Donovan hätte seine Mordserie fortgesetzt und seine Freundin getötet, Alicia Morgan Crane. Sie würde einen großen Nachruf erhalten. Schließlich war ihre Familie sehr bedeutend gewesen; man konnte viel darüber schreiben. Und irgendwann mußte Jackson zurückkommen – wieder als Peter Crane – und sie beerdigen. Diese Aufgabe konnte man Roger nicht anvertrauen.
Es tut mir leid, Alicia. Es hätte nicht dazu kommen dürfen. Diese unerwartete Wendung der Ereignisse hatte ihn näher an den Zustand völliger Lähmung gebracht als jemals zuvor. Für Jackson stand die völlige Kontrolle an erster Stelle, und plötzlich war etwas außer Kontrolle geraten. Er blickte auf seine Hände, die Werkzeuge, mit denen er seine Schwester getötet hatte. Seine Schwester. Selbst jetzt noch hatte er weiche Knie; Körper und Geist arbeiteten nicht synchron.
Als Jackson die Straße hinunterging, schwirrte ihm immer noch der Kopf bei dem Gedanken an das Verbrechen, das er soeben begangen hatte. Dann aber richteten seine geistigen Energien sich wieder auf jenen Menschen, der seiner Meinung nach für alles verantwortlich war.
LuAnn Tyler würde für jedes Leid büßen, das er jetzt verspürte. Alle Qualen, alle Schmerzen, die so gnadenlos in ihm tobten, würde er ihr hundertfach zurückzahlen – so lange, bis sie ihn anflehte, ihrem Leben ein Ende zu machen, sie zu ersticken, weil jeder Atemzug die Hölle war, schmerzlicher als alles, was ein Mensch aushalten konnte. Selbst LuAnn Tyler.
Und am schönsten war, daß er sie nicht einmal suchen mußte. Sie würde zu ihm kommen. Sie würde zu ihm rennen, mit all der Geschwindigkeit und Kraft ihres außergewöhnlichen Körpers. Denn er würde etwas haben, für das LuAnn überall hin laufen würde, für das sie alles tun würde. Für das sie sterben würde. Und das wirst du, LuAnn Tyler. Catherine Savage. Das schwor er sich.
Als das Haus hinter ihm verschwand, hatte Jackson noch immer einen warmen, schlaffen Körper vor seinem geistigen Auge, dessen geliebtes Gesicht dem seinen sehr ähnelte.
KAPITEL 53
Zum zehntenmal schaute Riggs sich im Einkaufszentrum um; dann blickte er wieder auf die Uhr. Durch seinen Deal mit dem FBI hatte er sich auf den zerbrechlichsten Ast der Welt hinausgewagt – und LuAnn war drei Stunden überfällig. Was sollte er anstellen, wenn sie überhaupt nicht kam? Jackson war irgendwo da draußen. Riggs bezweifelte stark, daß das Messer ein zweites Mal sein Ziel verfehlen würde. Falls er Jackson nicht dem FBI auslieferte, falls er seinen Teil des Handels mit seinem früheren Arbeitgeber nicht erfüllte und falls er nicht wieder in seine Tarnexistenz schlüpfen konnte, war es aus und vorbei.
Die Bosse des Drogenkartells, die vor fünf Jahren geschworen hatten, ihn zu töten, würden schnell erfahren, daß er noch lebte, und würden es mit Sicherheit wieder versuchen. Zurück in sein Haus konnte er nicht. Seine Firma ging höchstwahrscheinlich den Bach hinunter, und er hatte zur Zeit fünf Dollar in der Tasche und nicht einmal ein Auto. Selbst wenn Riggs sein Leben mit Absicht noch schlimmer hätte kaputtmachen wollen – er hätte nicht gewußt, wie er es anstellen müßte.
Er setzte sich auf eine Bank und starrte zum Washington Monument hinauf, während der kalte Wind über den leeren Platz zwischen dem Lincoln Memorial und dem Kapitol wehte. Der Himmel war bedeckt. Bald würde es zu regnen anfangen; man konnte es bereits riechen. Einfach großartig. Und du sitzt genau zwischen Baum und Borke, Mr. Riggs, sagte er sich. Sein Gefühlsbarometer war auf den niedrigsten Stand gefallen, seit seine Frau vor fünf Jahren bei dem Bandenüberfall getötet worden war.
War es wirklich erst eine Woche her, daß er ein halbwegs normales Leben geführt hatte? Daß er für reiche Leute Bauaufträge ausgeführt hatte? Daß er am Ofen in seinem Haus gesessen und Bücher gelesen hatte? Ein paar Abendseminare an der Universität besucht und ernsthaft darüber
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