Die Versuchung
natürlich nur rein theoretisch –, sich von dem freudigen Schreck zu erholen, klaren Kopf zu bekommen, vielleicht Rat von Finanzexperten einzuholen, von Anwälten und so weiter, ehe Sie freudigen Herzens nach New York fliegen. Selbstverständlich sind die Gewinner nicht verpflichtet, nach New York zu kommen. Die Pressekonferenz kann überall stattfinden, sogar in der Heimatstadt des frischgebackenen Multimillionärs. Aber die meisten Gewinner sind gern hergekommen, und das ist natürlich ganz im Interesse der Lotterie-Gesellschaft. Es ist viel leichter, von hier aus eine landesweite Pressekonferenz zu senden. Also, alles in allem werden Ihre Aktivitäten ungefähr zwei Tage dauern. Offiziell haben Sie dreißig Tage Zeit, um Ihr Gewinnlos vorzulegen. Von daher haben wir also kein Problem. Übrigens, das war der Grund dafür, daß ich Sie gebeten hatte, mit der Reise nach New York noch zu warten – falls Sie inzwischen nicht selbst darauf gekommen sind. Es würde nicht gut aussehen, wenn die Leute merken, daß Sie schon in dieser Stadt sind, ehe das Gewinnlos gezogen wurde. Sie müssen also unerkannt bleiben, bis wir soweit sind, Sie als Gewinnerin präsentieren zu können.« Jacksons Stimme klang ein wenig verärgert, weil er seine Pläne hatte ändern müssen.
LuAnn schrieb alles mit, so schnell sie konnte. »Es tut mir wirklich leid, Mr. Jackson«, versicherte sie ihm. »Aber ich habe Ihnen ja gesagt, wie es bei mir zu Hause wäre. Es ist ein so kleines Kaff. Die Leute würden sofort wissen, daß ich gewonnen habe, und dann wäre die Hölle los.«
»Na schön, gut. Wir sollten nicht noch mehr Zeit damit verschwenden, darüber zu diskutieren«, sagte er schroff. »Es geht darum, daß wir Sie nach der Ziehung noch mindestens einen Tag unter Verschluß halten müssen. Sie haben den Bus nach Atlanta genommen, ja?«
»Ja.«
»Und Sie haben geeignete Maßnahmen getroffen, Ihr Äußeres zu verändern?«
»Einen großen Hut und Sonnenbrille. Und ich habe niemand getroffen, den ich kenne.«
»Und selbstverständlich haben Sie nicht Ihren richtigen Namen genannt, als Sie die Fahrkarte gekauft haben, oder?«
»Selbstverständlich nicht«, log LuAnn.
»Schön. Ich glaube, dann sind Ihre Spuren gut genug verwischt.«
»Das hoffe ich.«
»Im Grunde ist es unwichtig, LuAnn. Wirklich. In ein paar Tagen sind Sie viel weiter weg als bloß bis nach New York.«
»Ach. Und wo genau?«
»Das können Sie selbst bestimmten, wie ich Ihnen schon sagte. Europa? Asien? Südamerika? Sie lassen es mich wissen, und ich regle alles für Sie.«
LuAnn dachte kurz nach. »Muß ich mich jetzt gleich entscheiden?«
»Natürlich nicht. Aber wenn Sie sofort nach der Pressekonferenz abreisen wollen, sollten Sie mir möglichst bald Bescheid geben. Ich bin dafür bekannt, daß ich Wunder vollbringen kann, wenn es darum geht, Reisen zu arrangieren. Aber ich bin kein Zauberer – besonders dann nicht, wenn jemand keinen Reisepaß oder andere Ausweispapiere hat.« Jacksons Stimme hörte sich an, als könnte er es immer noch nicht fassen. »Diese Papiere müssen auch für Sie beschafft werden.«
»Können Sie das regeln? Könnten Sie mir auch eine Sozialversicherungskarte besorgen?«
»Sie haben nicht mal eine Sozialversicherungsnummer? Das ist unmöglich.«
»Wenn die Eltern nie die Papiere für ihr Kind ausgefüllt haben, ist es sehr gut möglich«, erwiderte LuAnn eingeschnappt.
»Ein Krankenhaus gibt doch kein Neugeborenes frei, ohne daß der Papierkram erledigt ist.«
LuAnn lachte. »Ich war nie im Krankenhaus, Mr. Jackson. Als ich zum erstenmal die Augen aufmachte, habe ich die dreckige Wäsche in Moms Schlafzimmer gesehen, weil sie mich da zur Welt gebracht hat, mit meiner Grandma als Hebamme.«
»Nun ja. Ich nehme an, ich kann Ihnen auch eine Sozialversicherungsnummer besorgen«, sagte Jackson ein wenig herablassend.
»Könnten Sie auch einen anderen Namen in den Paß setzen lassen? Mein Foto, aber mit anderem Namen? Und auf allen anderen Papieren auch?«
»Warum wollen Sie das, LuAnn?« fragte Jackson vorsichtig.
»Na ja, wegen Duane. Ich weiß, er macht den Eindruck, als wäre er ein Trottel, aber wenn er rauskriegt, daß ich so viel Geld gewonnen habe, setzt er Himmel und Hölle in Bewegung, um mich zu finden. Da ist es am besten, wenn ich verschwinde. Ganz von vorn anfange. Mit einem neuen Namen und so weiter.«
Jackson lachte laut auf. »Glauben Sie wirklich, Duane Harvey könnte Sie aufspüren? Ich bezweifle stark, daß
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