Die Versuchung
Sie, warum ich hier bin?«
Charlie blickte sie scharf an. »Sagen wir mal, ich weiß genug, um nicht zu viele Fragen zu stellen. Belassen wir es dabei.« Er lächelte ein wenig gequält.
»Haben Sie Mr. Jackson jemals persönlich kennengelernt?«
Jetzt wurde Charlies Miene verschlossen. »Lassen wir das Thema, ja?«
»Okay, ich war bloß neugierig.«
»Sie wissen doch, zuviel Neugier ist ungesund.« Charlies dunkle Augen funkelten bei diesen Worten. »Bleiben Sie einfach ganz locker und gelassen. Tun Sie, was man von Ihnen verlangt, dann haben Sie und Ihre Tochter nie mehr Probleme. Hört sich das gut an?«
»Ich finde, es hört sich zu gut an«, sagte LuAnn leise und drückte Lisa fester an sich.
Kurz bevor sie aus der Limousine stiegen, holte Charlie einen schwarzen Ledermantel und einen breitkrempigen Hut hervor und bat LuAnn, die Sachen anzuziehen. »Aus naheliegenden Gründen wollen wir nicht, daß jemand Sie jetzt sieht. Den Cowboyhut können Sie nachher wegwerfen.«
LuAnn zog den Mantel an und setzte den Hut auf. Dann knotete sie den Gürtel eng um die Taille.
»Ich erledige alles an der Rezeption. Ihre Suite ist auf den Namen Linda Freeman gebucht, amerikanische Topmanagerin, deren Firma in London ist und die mit ihrer Tochter eine kombinierte Geschäfts- und Vergnügungsreise macht.«
»Eine Topmanagerin? Dann kann ich nur hoffen, daß mich keiner irgendwas Kluges fragt.«
»Keine Angst. Niemand wird Ihnen Fragen stellen.«
»Also, ich soll diese Linda Freeman sein?«
»Nur bis zum großen Augenblick. Danach können Sie wieder LuAnn Tyler sein.«
Kann ich das wirklich? fragte LuAnn sich insgeheim. Und will ich das?
Nachdem Charlie an der Rezeption alles erledigt hatte, brachte er LuAnn in die Suite. Sie befand sich im einunddreißigsten Stock und war riesig, mit großem Wohn- und Schlafzimmer. Staunend betrachtete LuAnn die elegante Einrichtung. Als sie das phantastische Badezimmer sah, wäre sie beinahe in Ohnmacht gefallen.
»Darf man diese Bademäntel anziehen?« Sie strich über den weichen Frotteestoff.
»Sie können einen kaufen, wenn Sie wollen. Kostet um die fünfundsiebzig Dollar, glaube ich«, antwortete Charlie.
LuAnn ging zum Fenster und zog die Gardinen ein Stück beiseite. Ein Großteil der New Yorker Skyline bot sich ihren Blicken dar. Der Himmel war bewölkt, und es wurde schon dunkel. »So viele Häuser hab’ ich noch nie im Leben gesehen. Wie können die Leute die bloß auseinanderhalten? Für mich sehen alle gleich aus.« Sie blickte Charlie an.
Er schüttelte den Kopf. »Wissen Sie, daß Sie echt komisch sind? Wenn ich es nicht besser wüßte, würde ich Sie für einen Bauerntrampel aus der finstersten Provinz halten.«
LuAnn schaute nach unten. »Ich bin ein Bauerntrampel aus der finstersten Provinz. Jedenfalls der größte Bauerntrampel, den Sie jemals sehen werden.«
Er fing ihren Blick auf. »He, so war das nicht gemeint. Wenn man hier aufwächst, sieht man den Rest der Welt aus einem bestimmten Blickwinkel. Sie verstehen, was ich meine?« Er machte eine Pause, während er LuAnn zuschaute, wie sie zu Lisa ging und ihr die Wange streichelte. »Schauen Sie, hier ist die Minibar«, sagte Charlie schließlich. Dann öffnete er eine dicke Schranktür. »Und hier ist der Tresor.« Er wies auf eine Metalltür, die in die Wand eingelassen war. Dann tippte er einen Zahlencode ein, und die Stahlzylinder öffneten sich mit hörbarem Klacken. »Es wäre ratsam, die Wertsachen hier reinzulegen.«
»Ich habe nichts, das wertvoll genug ist, um es in einen Tresor zu legen.«
»Und was ist mit dem Lotterielos?«
LuAnn schluckte und holte das Los aus der Tasche. »Sie wissen Bescheid?«
Charlie antwortete nicht. Er nahm das Los, warf einen flüchtigen Blick darauf und legte es in den Tresor. »Wählen sie als Kombination nicht so was Leichtes wie Geburtstage. Aber nehmen Sie Zahlen, an die Sie sich jederzeit sofort erinnern. Kapiert?«
LuAnn nickte, gab ihre Zahlenkombination ein und wartete, bis die Zylinder wieder eingerastet waren, ehe sie die Schranktür schloß.
Charlie ging zur Tür. »Ich komme morgen früh, so gegen neun Uhr. Falls Sie in der Zwischenzeit Hunger kriegen, rufen Sie einfach den Zimmerservice. Aber zeigen Sie dem Kellner nicht zu deutlich Ihr Gesicht. Binden Sie Ihre Haare zu einem Knoten, oder setzen Sie eine Duschhaube auf, als wollten Sie gerade in die Wanne steigen. Machen Sie nur die Tür auf, unterschreiben Sie die Rechnung mit ›Linda
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