Die Versuchung
Lisa. Sie beobachtete Charlie. Doch er sprach sehr leise und kehrte ihr den Rücken zu. Sie sah ihn mehrmals nicken. Dann legte er auf.
»Alles in Ordnung?« fragte sie besorgt und bemühte sich, die unruhige Lisa zu bändigen.
Charlie ließ den Blick durchs Zimmer schweifen, ehe er LuAnn anschaute. »Klar, alles bestens. Sie müssen heute nachmittag zu den Lotterieleuten gehen.«
»Kommen Sie mit?«
»Ich bringe Sie mit dem Taxi hin, aber ich gehe nicht mit ins Gebäude, sondern warte draußen, bis Sie zurückkommen.«
»Was muß ich denn alles tun?«
»Nur das Gewinnlos vorzeigen. Es wird geprüft. Dann bekommen Sie eine offizielle Empfangsbestätigung. Es werden Zeugen dabei sein. Das Los wird mit einem High-Tech-Laser untersucht, damit sichergestellt ist, daß es echt ist. Um Fälschungen zu verhindern, sind in den Losscheinen Spezialfasern, manche direkt unter der Zahlenreihe, so ähnlich wie bei Banknoten. Es ist unmöglich, so ein Los zu fälschen, besonders in so kurzer Zeit. Nun, dann ruft die Gesellschaft bei der Filiale an, wo Sie das Los gekauft haben, um sich bestätigen zu lassen, daß die betreffende Losnummer tatsächlich dort erworben wurde. Und schließlich holt man Informationen über Sie selbst ein. Wo Sie herkommen, wo Sie wohnen, Kinder, Eltern und so weiter. Das alles dauert ein paar Stunden, aber Sie müssen nicht die ganze Zeit dort warten. Wenn das Verfahren abgeschlossen ist, setzt man sich mit Ihnen in Verbindung. Dann wird die Erklärung an die Presse abgegeben, daß der Gewinner sich gemeldet hat, der Name aber erst auf der Pressekonferenz bekanntgegeben wird. Sie wissen schon – um die Spannung zu steigern. Auf diese Weise schnellt der Verkauf der Lose für die nächste Ziehung in die Höhe. Diese Pressekonferenz findet am Tag darauf statt.«
»Kommen wir hierher zurück?«
»Nein. ›Linda Freeman‹ zieht heute aus. Wir gehen in ein anderes Hotel, wo Sie sich als LuAnn Tyler einmieten, eine der reichsten Frauen des Landes, soeben in New York eingetroffen und bereit, die Welt zu erobern.«
»Waren Sie schon bei diesen Pressekonferenzen?«
Charlie nickte. »Bei mehreren. Manchmal geht es da ziemlich turbulent zu. Vor allem, wenn die Gewinner ihre Familie mitbringen. Geld hat auf manche Menschen einen merkwürdigen Einfluß. Aber das Ganze dauert nicht sehr lange.« Er machte eine Pause, ehe er fortfuhr: »Ich finde es sehr nett von Ihnen, daß Sie das tun. Ich meine, für Ihre Mutter nach Schweden zu reisen.«
LuAnn schlug die Augen nieder und spielte mit Lisas Füßen. »Ich hoffe es. Bestimmt ist es dort ganz anders.«
»Ja. Aber ich glaube, Sie könnten eine kleine Veränderung gut gebrauchen.«
»Ich hab’ keine Ahnung, wie lange ich dort bleiben werde.«
»Bleiben Sie, solange Sie wollen. Teufel noch mal, Sie können für immer dort bleiben.«
»Ich weiß. Aber ich glaube nicht, daß ich damit klarkomme.«
Charlie packte sie bei den Schultern und blickte ihr in die Augen. »Stellen Sie Ihr Licht nicht unter den Scheffel, LuAnn. Okay, Sie haben keine tollen Diplome oder einen akademischen Grad, aber Sie sind intelligent, sorgen liebevoll für Ihr Kind und haben ein gutes Herz. Damit stehen Sie in meinen Augen höher als neunundneunzig Prozent der Bevölkerung.«
»Ich weiß nicht, ob ich das alles hier schaffen könnte, wenn Sie mir nicht helfen würden.«
Er zuckte die Schultern. »Na, na. Wie ich schon sagte, das gehört alles zu meinem Job.« Er ließ sie los und steckte sich eine Zigarette an. »Warum essen wir nicht eine Kleinigkeit, und dann gehen Sie los und melden Ihren Gewinn an? Was meinen Sie? Sind Sie bereit, stinkreich zu werden?«
LuAnn holte tief Luft, ehe sie antwortete. »Ich bin bereit.«
LuAnn verließ das Gebäude der Lotterie-Gesellschaft, ging die Straße hinunter und bog um eine Ecke. Dort wartete Charlie am verabredeten Treffpunkt. Er hatte auf Lisa aufgepaßt, während LuAnn bei der Gesellschaft gewesen war.
»Die Kleine hat alles genau beobachtet, was sich um sie herum abspielte. Sie hat wirklich ein helles Köpfchen«, sagte Charlie.
»Es wird nicht lange dauern, dann muß ich ständig hinter ihr herlaufen.«
»Sie wollte jetzt schon unbedingt runter und loswetzen.« Charlie lächelte und setzte Lisa wieder in den Wagen. »Und wie ist es gelaufen?«
»Alle waren furchtbar nett zu mir. Haben sich fast ein Bein ausgerissen. ›Möchten Sie Kaffee, Miss Tyler? Möchten Sie telefonieren?‹ Eine Frau hat mich sogar gefragt, ob ich
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