Die Versuchung
Scheiße«, sagte sie laut. Doch im Lärm der Menschenmenge hörte nicht einmal Charlie ihren Fluch. LuAnn drückte seine Finger jetzt so fest, daß er beinahe aufgeschrien hätte.
Auch Charlies Herz raste. Er fühlte mit LuAnn. Zwar hatte er noch nie erlebt, daß Jackson versagt hatte, aber man konnte ja nie wissen. Er schob die freie Hand unters Hemd und strich über das schwere silberne Kruzifix, das er trug, solange er zurückdenken konnte. Vielleicht brachte es Glück, wenn er darüber rieb.
LuAnn glaubte, ihr Herz würde zu schlagen aufhören. Plötzlich wechselten die beiden Kugeln – ganz langsam, als wäre es sorgfältig einstudiert – im Luftwirbel wieder die Position, und stießen an einem bestimmten Punkt sogar zusammen. Und dann, nach dieser blitzschnellen Kollision, fiel die Kugel mit der Eins durch die Öffnung in die zehnte und letzte Röhre.
Am liebsten hätte LuAnn laut aufgeschrien – nicht so sehr, weil sie in diesem Augenblick hundert Millionen Dollar reicher war, sondern aus schierer Erleichterung und um die unsägliche innere Spannung zu lösen. Sie und Charlie schauten sich mit großen Augen an. Beide zitterten. Ihre Gesichter waren schweißüberströmt, als hätten sie sich soeben leidenschaftlich geliebt. Charlie beugte sich zu ihr und zog eine Braue hoch, so als wollte er sagen: »Siehst du? Du hast gewonnen!«
LuAnn nickte. Ihr Kopf bewegte sich im Rhythmus ihres Lieblingsschlagers. Lisa quäkte und stieß um sich, als würde sie die Erregung ihrer Mutter spüren.
»Verdammt«, sagte Charlie. »Beim Warten auf die letzte Zahl hätte ich mir vor Aufregung beinahe in die Hose gemacht.«
Er führte LuAnn aus dem Saal. Kurz darauf gingen sie langsam über die Straße in Richtung Hotel. Es war eine wunderschöne, kühle Nacht. Am wolkenlosen Himmel funkelten unzählige Sterne, bis in die Unendlichkeit hinein. Alles paßte genau zu LuAnns Stimmung.
Charlie rieb sich die Hand. »Mein Gott, ich dachte schon, Sie würden mir die Finger brechen. Was war denn los?«
»Ach, das wollen Sie doch gar nicht wissen«, sagte LuAnn entschieden. Sie lächelte ihn an und sog die herrliche, kalte Luft ein. Dann küßte sie Lisa liebevoll auf die Wange, stieß Charlie unvermittelt den Ellbogen in die Seite und grinste spitzbübisch. »Wer als letzter beim Hotel ist, zahlt fürs Abendessen.« Damit flitzte sie los wie ein geölter Blitz. Der Mantel blähte sich hinter ihr wie ein Fallschirm. Obwohl sie rasch einen Riesenvorsprung hatte, hörte Charlie ihre Freudenschreie. Grinsend rannte er hinter ihr her.
Keiner der beiden wäre so glücklich gewesen, hätten sie den Mann gesehen, der ihnen zur Ziehung gefolgt war. Jetzt stand er auf der anderen Straßenseite und ließ sie nicht aus den Augen. Er hatte damit gerechnet, daß die Beschattung LuAnns einige äußerst interessante Erkenntnisse bringen würde. Doch selbst er mußte zugeben, daß seine Erwartungen schon jetzt weit übertroffen worden waren.
KAPITEL 13
»Sind Sie sicher, daß Sie dorthin wollen, LuAnn?«
»Jawohl, Mr. Jackson«, erklärte LuAnn entschieden am Telefon. »Ich wollte immer schon mal nach Schweden. Die Familie meiner Mutter ist vor vielen Jahren von da eingewandert. Mom hat sich immer gewünscht, mal dorthin zu reisen, hatte aber nie die Gelegenheit. Ich tue es gewissermaßen für sie. Ist das schwierig zu regeln?«
»Alles ist schwierig, LuAnn. Es kommt nur auf den Grad der Schwierigkeit an.«
»Aber Sie schaffen es doch, oder? Ich meine, ich möchte in alle möglichen Länder fahren, aber am liebsten würde ich in Schweden anfangen.«
»Wenn ich dafür sorgen kann, daß jemand wie Sie einhundert Millionen Dollar gewinnt, kann ich mit Sicherheit auch Ihre Reisewünsche erfüllen«, sagte Jackson gereizt.
»Ich bin Ihnen wirklich dankbar. Ehrlich.« LuAnn blickte zu Charlie, der Lisa auf dem Arm hielt und mit ihr spielte.
Sie lächelte ihn an. »Das steht Ihnen gut.«
»Wie bitte?« fragte Jackson.
»Entschuldigung, ich habe mit Charlie geredet.«
»Geben Sie ihn mir. Wir müssen über Ihren Besuch bei der Lotterieverwaltung sprechen, damit man Ihr Gewinnlos bestätigt. Je früher das erledigt ist, desto schneller geht es mit der Pressekonferenz. Und danach können Sie losfliegen.«
»Sie haben doch etwas über Bedingungen gesagt …«, begann LuAnn.
Jackson unterbrach sie. »Darüber möchte ich im Augenblick nicht sprechen. Geben Sie mir Charlie. Ich hab’s eilig.«
LuAnn reichte Charlie den Hörer und nahm
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