Die vertauschte Braut: Historischer Liebesroman (German Edition)
Kindermädchen, und was ist daran so schlimm?«, fragte er mit der Miene eines Mannes, der eine wirklich erstaunliche Entdeckung gemacht hat. »In vielen Familien müssen die älteren Kinder auf die jüngeren aufpassen. Wie auch immer, ich würde es gerne wiedergutmachen. Ich biete dir meine Hilfe bei der Suche nach Zerzura an. Ich habe schon mit den
Fellahin
der Karawane gesprochen und sie haben sichbereit erklärt, auf der Ausgrabungsstelle zu arbeiten. Und ich werde dein Vorarbeiter.«
»Aber Urgroßvater ...«
»Hat schon zugestimmt, so lange in Ford Gordon zu bleiben, bis seine Urenkelin ihre fantastische Entdeckung gemacht hat.«
In Ginesses Kopf schwirrten die Gedanken durcheinander. Das Ziel, von dem sie so lange geträumt hatte, war zum Greifen nahe. All die Puzzleteile fügten sich plötzlich ineinander, als würde eine unsichtbare Hand sie zusammensetzen. Sie konnte Zerzura wirklich finden. Sie würde über Nacht internationale Berühmtheit erlangen. Sie würde als Autorität auf Augenhöhe mit ihrem Vater betrachtet werden.
Und sie könnte endlich fort von Jim.
Im Moment schien ihr das am wichtigsten zu sein. Ihr Herz war gebrochen und sie wusste nicht, wie sie sich jemals davon erholen sollte, wenn sie Jim Owens doch jeden Tag sehen musste.
»Wann können wir anfangen?«, wollte sie wissen.
Haji lächelte und sie sah, wie sich Aufregung in seinen Blick stahl, und begriff, dass dies hier weit mehr für ihn war, als nur eine Möglichkeit, alles wiedergutzumachen. Das Feuer des Ägyptologen loderte in seinen Augen, es war dasselbe, das auch so oft in den Augen ihres Vaters und Urgroßvaters brannte. Aber niemals in ihren eigenen. »Wir könnten schon morgen aufbrechen, wenn du es so eilig hast. Es dürfte nicht lange dauern, bis wir alle Vorräte zusammengepackt haben.«
Sie wollte noch mehr sagen, doch da erschien Lord Tynesborough und bahnte sich einen Weg durch die Menge auf sie zu. Lächelnd gesellte er sich zu ihnen. »Mr Elkamal, wenn Sie nicht vorhaben, diese bezaubernde Lady zum Tanz aufzufordern, dürfte ich es dann vielleicht?«
Haji verbeugte sich. »Wie die Lady wünscht.«
»Miss Braxton?«
Sie akzeptierte. Es würde sie von ihren Gedanken an Jim ablenken. Sanft nahm Lord Tynesborough ihre Hand in seine und legte ihr die andere Hand auf die Hüfte, dann geleitete er sie elegant auf die Tanzfläche. Er war ein fantastischer Tänzer und führte sie gekonnt durch die Schritte. Seine Augen strahlten vor Vergnügen und er verwickelte sie in eine leichte, amüsante Unterhaltung, die jedoch nie so aufdringlich war, dass sie den Rhythmus der Musik störte. Fast konnte sie vergessen, dass er nicht Jim war ...
Finster starrte Jim sein leeres Glas an. Das war immerhin besser, als Jock zuzusehen, der strahlte wie eine Honigkuchenpferd. Er hatte eine Hand unter Ginesses Schulterblatt gelegt und seine Fingerspitzen strichen über die bloße Haut ihres Rückens. Sie tanzten einen Walzer und offensichtlich übertraf ihn sein Halbbruder auch hierin,wie in allem anderen. Sie schien sein tänzerisches Können sehr zu genießen.
Sie hatte den Kopf zurückgelegt und offenbarte ihre grazile und so verführerische Kehle. Ihre Haut schimmerte im Laternenlicht wie Samt. Ein leichtes Lächeln lag auf ihrem vollen Mund, so nachgiebig wie weiches Wachs und so köstlich wie eine verbotene Frucht.
Und genau das war sie auch. Sie war ihm verboten. Denn Jock liebte sie und Jock war ein guter Mann, ein anständiger Mann. Er hätte einer Lady nie die Unschuld geraubt und schon gar nicht, wenn ihm diese Lady anvertraut worden war, damit er sie zu ihrem zukünftigen Ehemann brachte. Und Jim hatte es getan ...
Jim hatte es getan.
Weil diese Lady nun mal ihm gehörte.
Zum Teufel mit Ehre und Prinzipien. Er würde verrückt werden, wenn er noch länger hier stehen und zusehen musste, wie ein anderer Mann sie umgarnte. Und er war nicht bereit, seine geistige Gesundheit aufs Spiel zu setzen, nur um sich einmal sagen zu können, dass er das Richtige getan hatte. Es war ihm egal, was das Richtige war. Nur Ginesse war wichtig. Und er konnte sie nicht gehen lassen, ohne alles in seiner Macht Stehende zu tun, um sie zu halten.
Er knallte sein leeres Glas auf den Tresen, betrat die Tanzfläche und legte seinem Bruder vielleicht eine Spur zu fest die Hand auf die Schulter. »Darf ich ablösen?«, fragte er mit einer Stimme, so weich und gefährlich wie Stahl, der über Stein streicht.
Jocks Antwort hörte er nicht einmal.
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