Die vertauschte Braut: Historischer Liebesroman (German Edition)
war, denn es würde ein wunderschöner Tag werden. Die Luft war klar, der Wind wehte beständig und sogar die sonst so mürrische nubische Crew schien gutgelaunt zu sein.
Warum auch nicht? Immerhin hatten sie sich gestern frei genommen.
Der gestrige Tag hatte alles andere als gut begonnen. Der Kapitän hatte sich in der vorherigen Nacht hemmungslos betrunken, weshalb er am Morgen völlig außer Gefecht in seiner schmutzigen Kajüte lag und nicht im Stande war, der Crew irgendwelche Befehle zu geben. Also war Mr Owens, der kein Wort Nubisch sprach, nichts anderes übrig geblieben, als pantomimische Anweisungen zu erteilen. Und da sie ja wohl kaum einfach zusehen konnte, wie diese Halunken die Situation ausnutzten, indem sie vorgaben, nichts zu verstehen, hatte sie Mr Owens vorgeschlagen, den Männern doch einfach aufzuzeichnen, was sie tun sollten.
Er hatte ihren Vorschlag nicht besonders gut aufgenommen.
Also hatte sie die Initiative ergriffen und sehr detaillierte Zeichnungen angefertigt, die sie dann der Crew zeigte. Doch anstatt ihre äußerst anschaulichen Befehle auszuführen, hatten diese erbärmlichen Hunde so getan, als dächten sie, die
Felucca
solle auf Grund laufen. Ginesse hatte genau gewusst, was sie im Schilde führten, denn sie heckten den Plan direkt vor ihrer Nase aus, ohne zu begreifen, dass
sie
Nubisch sehr wohl verstehen – und sprechen – konnte.
Doch natürlich hatte sie das Mr Owens nicht einfach weitererzählen können und sich stattdessen auf unüberhörbar laute und – wie sich herausstellte – nutzlose Bemerkungen über ein gewisses »Gefühl« verlegt, dass dieCrew »nichts Gutes« im Schilde führte. Mr Owens hatte das als blanken Rassismus abgetan und war selbst dann noch dabei geblieben, als die Crew das Boot tatsächlich auf eine Sandbank auffahren ließ und den restlichen Tag damit verbrachte, auf dem Deck herumzulümmeln, zu essen und zu trinken und ab und zu halbherzig zu versuchen, das Boot wieder frei zu bekommen. Sie selbst hatte sich ans hinterste Ende der Sandbank verdrückt und sich betrogen und schlecht behandelt gefühlt.
Erst gegen Nachmittag war der Kapitän wieder einigermaßen ausgenüchtert und als er sah, was mit seinem Boot passiert war, hatte er zu brüllen begonnen. Ginesse, die einem Streit prinzipiell niemals aus dem Weg ging, hatte zurückgebrüllt. Und dann hatte sich Mr Owens eingemischt und versucht, sie zu beruhigen, bis der Kapitän schließlich ausgeholt und Jim eine verpasst hat. Jedenfalls behauptete der Kapitän später, er hätte Jim treffen wollen, doch Ginesse war sich sicher, dass er es eigentlich auf sie abgesehen hatte und der Schlag nur versehentlich Jim erwischt hatte.
Seit dem war die angenehme Kameradschaftlichkeit, die sie an ihrem ersten Reisetag genossen hatten, verschwunden. Wann immer ihre Blicke sich trafen, sah Mr Owens sie mit derselben unsicheren Wachsamkeit an, mit der man einen sich nähernden wilden Hund betrachten würde.
Sie erhob sich und schlenderte zur Seite des Bootes, um die Landschaft zu betrachten, die aus dem morgendlichen Zwielicht auftauchte. Silbrige Papyrusstauden erschienenam Westufer und auf dem Fluss schälten sich die Umrisse zahlreicher Boote aus dem dicken Nebel, der über das Wasser wallte. Sie erkannte elegante
Feluccas
und lange, luxuriöse
Dahabiyas
und
Dhows
. Außerdem praktische
Dorys
und gelegentlich sogar ein Rauch speiendes Dampfschiff, das seine Passagiere flussaufwärts nach Luxor brachte.
Sie fragte sich, was diese Passagiere wohl denken mochten, wenn sie ein britisches Mädchen unter dem wachsamen Blick eines großen, energischen Mannes im Bug eines Bootes stehen sahen. Vielleicht nahmen sie an, sie wären verliebt oder frisch verheiratet oder vielleicht sogar miteinander durchgebrannt. Sie könnte alles sein.
Es war ein überraschendes Glücksgefühl, das ihre Maskerade mit sich brachte. Sie hatte ihren Namen und ihre Vergangenheit abgelegt und damit auch sämtliche Vorurteile und Erwartungen. Noch nie war ihr bewusst gewesen, wie schwer der Glaube ihrer Familie und das in sie gesetzte Vertrauen auf ihr lasteten.
James Owens hatte keine Erwartungen an sie. Er sah in ihr nicht nur eine der wenigen weiblichen Kuriositäten an einer männlich dominierten Bildungsstätte oder Harry Braxtons unglückbringende Tochter oder Dizzy Braxtons Wechselbalg oder Sir Carlisles komische Großenkelin, die immer nur Ärger machte, oder einen
Dschinn
oder
Afrit
.
Es war so befreiend.
Ohne
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