Die vertauschte Braut: Historischer Liebesroman (German Edition)
mögen.
Neely brüllte einen weiteren Befehl und einer der Soldaten löste seinen Wasserschlauch vom Sattel und warf ihn zu Neely hinüber. Der fing ihn auf und schleuderte ihn Ginesse vor die Füße. Sie sah nicht hinunter, was Neely zweifellos beabsichtigt hatte, damit er ihr die Pistole entreißen konnte. Wieder fluchte er.
»Ich an Ihrer Stelle würde zusehen, dass ich wegkomme, bevor Mr Owens aufwacht.«
Er wandte sich ab und stürmte zu seinen Männern hinüber. Doch nach ein paar Schritten drehte er sich noch einmal zu ihr um. Verblüfft sah sie, dass seine Lippen bebten und ihm Tränen in den Augen standen.
»Was denn noch?«, fragte sie zunehmend gereizt. Der Kerl war ja schlimmer als eine Romanfolge von Dickens. Immer, wenn man gerade dachte, dies wäre das Ende, geschah noch irgendetwas Unvorhergesehenes.
»Sie sind ein tapferes Mädchen, Miss Whimpelhall«, sagte er mit erstickter Stimme. »Dumm wie Brot, aber mutig wie ich es nicht sein kann. Ich wünschte, ich könnte Ihnen versprechen, dass ich davon berichten werde, wo Ihre edlen Knochen liegen, doch das werd ich nicht, so stehen die Dinge nun mal. Ich werd ihnen sagen, dass Owens mit Ihnen durchgebrannt ist und dass Banditen Sie beide erwischt haben. Und wenn das nächste Schiff in Alexandria ablegt, werd ich an Bord sein, egal, wie diese Sache ausgeht. Also, auf Wiedersehen, Miss Whimpelhall. Denken Sie nicht zu schlecht von mir, wenn Sie sterben.«
Wie die meisten Abschiedsreden, war auch diese nicht gerade ermutigend.
Er schwang sich auf sein Kamel, salutierte zum Abschied und gab dem Tier die Fersen, bis es in Trab fiel. Seine Männer folgten ihm.
Sie ließ die schwere Pistole langsam gegen ihr Bein sinken und ging neben Jims reglosem Körper in die Hocke, während sie dem Trupp nachsah, bis seine Umrisse am Horizont verschwammen. Sehr bald würde es dunkel sein und dann würde die Kälte kommen, schnell und gefährlich.
Sie strich mit der Hand über Jims Stirn. Sie fühlte sich ein wenig warm an, aber nicht fiebrig. Doch sie wussteja noch nicht einmal, ob man bei einem Schädeltrauma überhaupt Fieber bekam. Sie untersuchte ihn noch einmal und biss sich auf die Unterlippe. Sollte sie versuchen, ihn aufzuwecken? Sie konnte sich nicht erinnern, ob ihre Mutter jemals versucht hatte, ihren Vater nach einem solchen Schlag aufzuwecken. Und wenn ja, wie? Mit Wasser? Ohrfeigen? Oder schütteln?
Was, wenn sie seine Verletzungen nur noch verschlimmerte? Was, wenn sie etwas, das sowieso schon angeknackst war, brach und damit bleibenden Schaden verursachte? Schließlich entschied sie, dass Jims Körper wohl selbst am besten wusste, wann es Zeit zum Aufwachen war. Behutsam bettete sie seinen Kopf in ihren Schoß und zwang sich, zu warten. Was nicht gerade ihre Stärke war.
Der Gedanke, dass sie vielleicht sterben würden, geisterte durch ihre Sinne. Falls es so kam, würde niemand je von ihrem Tod erfahren. Auch Neelys Lügen würden nicht dabei helfen, sie zu finden. Alle würden nach Mildred Whimpelhall suchen, die irgendwann in Kairo auftauchen und Pomfreys Begräbnisvorbereitungen in Hochzeitspläne und seine Trauer in Glück verwandeln würde.
Ginesse seufzte. Vielleicht würden die Pomfreys eines Tages, wenn sie auf ihren Hochzeitstag anstießen, flüchtig an die fremde junge Frau denken, die sich als Mildred ausgegeben hatte, und vielleicht würden sie sich fragen, warum sie das getan hatte und wer sie wohl gewesen war.
Es gab absolut keinen Grund für irgendjemanden, jemals darauf zu kommen, dass Ginesse Braxton, Mildreds Reisegefährtin, die Identitätsdiebin war. Besonders deshalb nicht, weil ihr Großvater ihr Telegramm früher oder später doch noch lesen und dann glauben würde, sie sei irgendwo in Osteuropa verschwunden. Alle würden denken, man habe sie vielleicht entführt, damit sie die Braut eines asiatischen Prinzen wurde, oder sie sei mit einem bulgarischen Grafen durchgebrannt.
Das klang äußerst romantisch und sie fühlte sich ein bisschen besser, bis ihr Blick auf den funkelnden Smaragdring fiel, den sie trug. Ihre Mutter hatte ihn ihr zu ihrem sechzehnten Geburtstag geschenkt. Ihre Mutter ...
Was habe ich nur getan?
Wenn sie starb, würde sie ihre Eltern damit zu einem Leben verdammen, das nur noch eine endlose, vergebliche Suche wäre. Denn egal, wie gering die Chancen standen, ihre Eltern würden niemals aufhören, nach ihr zu suchen. Niemals. Sie würden jeder Spur folgen, bis sie ihre Knochen fanden oder bis sie
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