Die vertauschte Braut: Historischer Liebesroman (German Edition)
fortgewischt, Träume, die er längst begraben hatte, wieder ans Licht befördert und seine Gleichgültigkeit zerrüttet. Es war ihm gerade recht, dass man sie von ihm fern hielt, denn er hoffte, wenn er nur lange genug hier saß – außerhalb ihrer Reichweite –, in der Lage zu sein, seinen klaren Kopf wenigstens teilweisewiederzuerlangen und herauszufinden, was zum Teufel hier vor sich ging. Er stand auf und starrte durch das Gitterfenster hinaus auf den Paradeplatz, wo ein Zug Soldaten Exerzierübungen vollführte.
Am anderen Ende des Platzes erhob sich die Baracke der Verheirateten, wo die wenigen Frauen, die im Fort lebten, mit ihren Familien wohnten. Einige Kinder spielten im Staub unter dem erhöhten Gehsteig. Dort war vermutlich auch Ginesse einquartiert. Er durchschritt die Zelle, ließ sich dann wieder zu Boden sinken und blieb mit dem Rücken gegen die Gitterstäbe gelehnt sitzen. Er sollte nicht nach ihr Ausschau halten. Er sollte besser nachdenken. Was wusste er?
Wusste
, nicht vermutete.
Er wusste, sie hatte ihn manipuliert, ihn angelogen und vorgegeben, eine andere zu sein. Was sie anscheinend getan hatte, um irgendeiner Fantasterei um Zerzura nachzujagen, wo doch jeder halbwegs anständige Schatzjäger wusste, dass diese Stadt nichts als ein Mythos war, erfunden von einigen arabischen Händlern, um europäische Abenteurer aus Ägypten fernzuhalten und nach Libyen zu locken.
Dann, nach der Hälfte ihrer Reise, hatte sie sich ihm mit vollkommen unschuldiger Hingabe geschenkt und danach erklärt, dass sie lieber ihren angeblichen Verlobten belügen würde, als das Leben zu führen, das er ihr bot. Was, wenn es auch keine sehr noble Geste war, doch immerhin einen gewissen Sinn ergeben hätte,
wenn
sie Mildred Whimpelhall gewesen wäre. Aber sie war nichtMildred Whimpelhall. Sie war Ginesse Braxton und soweit er wusste, niemandem versprochen ...
Er erstarrte. Vielleicht war sie ja doch einem anderen versprochen. Er wusste rein gar nichts über sie. Vielleicht hatte sie, wann immer sie von Pomfrey geschwärmt hatte, eigentlich einen anderen Mann beschrieben, jemanden, den sie tatsächlich kannte. Sie war eine leidenschaftliche, stürmische Frau und die Umstände waren außergewöhnlich gewesen. Und aus einem Impuls heraus – und bei Gott, sie war sehr impulsiv – war sie einer Mischung aus grenzenloser Erleichterung und unleugbarer körperlicher Anziehung erlegen. Doch sobald die Realität sie eingeholt hatte, war ihr dieser andere Mann wieder zu Bewusstsein gekommen. Es konnte nicht anders sein ...
Aber ...
Warum hatte sie ihm dann nicht einfach erzählt, wer sie war? Warum hatte sie weiterhin vorgegeben, sie sei Mildred Whimpelhall, die ein privilegiertes und verhältnismäßig komfortables Leben nicht wegen eines »Fehltritts« aufgeben wollte?
Er stand wieder auf und begann, in der zehn Fuß messenden Zelle auf und ab zu wandern, wobei seine Gedanken unablässig um das Gespräch mit Pomfrey kreisten, bevor Ginesse erschienen war, als er noch gedacht hatte, sie sei Mildred Whimpelhall.
Bis dahin war der Lord Colonel stets unwillkürlich das Maß gewesen, an dem er sich gemessen hatte. Wie naiv und leichtgläubig er doch gewesen war und was für ein Dummkopf. In jenem Augenblick, in dem Pomfrey angenommen hatte, seine Verlobte sei vergewaltigt worden, hatte sein erster Gedanke nicht ihr, ihrem Schmerz und ihrer Angst gegolten, sondern ihm selbst und der »Schande«, die sie auch über ihn bringen würde.
Und eine wilde, niederträchtige Freude hatte von Jim Besitz ergriffen, als Pomfrey sich diese Blöße gab, weil er sich als so gering, so selbstsüchtig erwiesen hatte. Denn in dem Augenblick hatte er begriffen, dass Pomfrey keine Chance hatte, Mil... Ginesses Herz zu gewinnen. Sie konnte ihn nicht lieben. Privilegien mochten ihr vielleicht mehr bedeuten als Leidenschaft, doch sie würde niemals einen so schwachen Mann heiraten. Er vertraute darauf, vertraute ihr. Alles, was er tun musste war warten, bis sie selbst herausfand, welche Sorte Mann Pomfrey war.
Doch wenn es um sie ging, gab es in ihm keinen Raum für Geduld oder Listigkeit. Er hatte es einfach nicht geschafft, zu gehen, ohne Pomfrey zu provozieren. Und dann war sie erschienen, mit zerzausten Haaren und einem Kleid, das ihr zwei Nummern zu groß war und um ihre Füße wirbelte. Den geschockten Ausdruck auf Pomfreys Gesicht würde er so schnell nicht vergessen, Schock und unbändige Erleichterung, weil sie nicht seine
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