Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
sich um Euch bemühen, brauche ich mir nicht länger Sorgen um Euch zu machen.«
Trotz meiner anfänglichen Gefühle von Fremdheit bereitete mir der Tag am Ende enormes Vergnügen, und es fiel mir schwer, ungeheuer schwer, mich von Nan und meinen Geschwistern zu verabschieden. Wir waren schon fast aus der Tür, da kam John hereingestürmt. Mein Herz tat vor Freude einen Satz, als ich ihn sah und begriff, wie sehr er sich bemüht hatte, mich noch zu treffen. Wir hielten einander fest umschlungen. Es war das erste Mal seit Jahren, dass wir uns auf diese Weise umarmten.
Er trat einen Schritt zurück und musterte mich, dann zog er mich in den Garten hinaus, fort von den anderen. »Du hast deine gesunde Farbe zurück und auch wieder ein wenig zugenommen. Ich bin überglücklich zu sehen, dass es dir gut geht, Alice. Es ist besser für dich, wenn du bei Dame Agnes wohnst. Das habe ich Vater schon vorher gesagt.«
»Vater hat dir von seinen Absichten erzählt, noch bevor ich davon erfuhr?«
»Er sprach davon, damit ich endlich meine Klappe hielt. Ich hatte ihn gebeten, angesichts von Mutters Verhalten etwas zu unternehmen. Du hättest dich geschüttelt vor Lachen. Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht dulden würde, wie sie dich behandelt.« Er lachte über sich selbst. Es klang traurig. »Als ob es in meiner Macht stünde, etwas zu deinem Schutz zu unternehmen.«
Ich war sprachlos vor Rührung. »Sie war in letzter Zeit tatsächlich noch gehässiger gegen mich als sonst.«
»Ich bin froh, dass du heute gekommen bist, wenn sie weit weg ist.«
»Komm doch bitte bald zum Essen zu uns«, sagte ich.
»Ein Lehrjunge ist den Launen seines Herrn ausgeliefert, Alice. Aber ich werde es versuchen.« Er nahm meine Hände. »Du hast dich gar nicht danach erkundigt, wohin unsere Eltern gereist sind. Das bedeutet, du weißt es bereits.«
Ich schüttelte den Kopf. Ich wagte es nicht, gegenüber meinem Bruder, der so gut zu mir gewesen war, eine Lüge auszusprechen.
Er wirkte enttäuscht, aber nicht ungläubig. »Die Abruptheit ihres Aufbruchs hat Nan und die Köchin erschreckt. Ich hatte gehofft, du wüsstest, wer oder was eine solche Eile verursacht haben könnte.«
»Um ehrlich zu sein, war ich so froh, als ich hörte, dass sie fort sind und ich dich und Mary und Will treffen kann. So habe ich mich zwar gewundert, war aber viel zu aufgeregt, um lange darüber nachzudenken.«
Dame Agnes kam heraus und drängte uns, mit unseren Abschiedsworten fertig zu werden, da es spät wurde. Mary und Will warfen sich mir noch einmal in die Arme und bedeckten mich mit feuchten Küssen, dann drückten John und ich einander die Hände, und er versprach, bald zum Essen vorbeizukommen.
An diesem Abend weinte ich mich in den Schlaf. Ich verstand nicht, wie ich zugleich so glücklich und so traurig über die Veränderungen in meinem Leben sein konnte. Wie Nan immer gesagt hatte, vermischte der liebe Gott stets das Süße mit dem Bitteren, damit wir nie vergessen, dass jede Freude ihren Preis hat.
I-3
»Kurzum mein teures Herz, all Ihr mein Ritter,
Seid frohen Muts, schöpft neue Lust am Leben.
Ich will getreulich und mit ganzer Kraft
Das Bittre sämtlich Euch in Süßes wandeln.
Bin ich es, die vermag Euch Glück zu schaffen,
Euch jeder Schmerz durch Freud vergolten sei.«
GEOFFREY CHAUCER:
TROILUS UND CRISEYDE, III 176 – 182
Am nächsten Morgen blieb Dame Agnes meine unverändert bedrückte Stimmung nicht verborgen, und so schlug sie vor, dass ich meinen Großvater doch für einen Moment der stillen Einkehr in ihre Gemeindekirche begleiten könne. Sie, Gwen und Kate kämen bei den Näharbeiten auch eine Weile ohne mich aus.
»Du hast in letzter Zeit hart gearbeitet. Es wird dir guttun, ein wenig herauszukommen.«
St. Mary Aldermary war ebenfalls eine Gemeinde wohlhabender Kaufleute, und als ich gemeinsam mit Großvater in das Kirchenschiff trat, umfing mich auf beruhigend vertraute Weise das Gemurmel der Stiftungsmessen lesenden Priester.
»Ich werde an meinem gewohnten Platz niederknien«, erklärte Großvater. »Hol mich dort einfach ab, wenn du mit deiner Andacht fertig bist.« Er hatte sich ein fein besticktes
Kissen mitgebracht – ich erkannte die Handarbeit von Dame Agnes – und kniete wenig später in der Nähe des Hauptaltars, wo ihm seine dunklen Gewänder würdevoll von den breiten Schultern hinabfielen. Sein Kopf, der warm in eine Kapuze gehüllt war, die auch seinen Nacken bedeckte, senkte sich tief über die
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