Die Vertraute des Königs: Historischer Roman (German Edition)
Mailand.«
»Nein, Alice, du darfst nicht die Aufmerksamkeit auf sie lenken.«
»Ich kann doch nicht einfach hier warten!«
»Warten? Da gibt es nichts zu warten. Sie sind fort, Alice. Und sie werden nicht zurückkehren. Das würde ihren Tod bedeuten. «
Für einen Moment unfähig zu sprechen, starrte ich ihn an. Ich hatte mit der Möglichkeit gerechnet, Janyn könnte eines Tages auf einer seiner Reisen zu Tode kommen, aber niemals hätte ich gedacht, dass er je wählen müsste zwischen einer Rückkehr zu mir und der Chance, versteckt, aber dafür am Leben zu bleiben.
»Tommasa sagte, du und ich, wir sollten uns als Witwe und Witwer betrachten.« Er brach schluchzend zusammen.
»Witwe?«, flüsterte ich, entsetzt über das Wort.
Ich richtete mich auf, trat hinter ihn und rieb ihm abwesend Schultern und Nacken. Ich musste einfach ein anderes menschliches Wesen berühren, musste Trost spenden oder empfangen. Ich stand unmittelbar davor, das Geschehene zu begreifen, fürchtete mich jedoch vor dem letzten Schritt und wehrte mich dagegen, es Wirklichkeit werden zu lassen.
»Habt Ihr seit September etwas von Janyn gehört?«, fragte ich.
Master Martin bekreuzigte sich. »Keine Silbe, keinerlei Lebenszeichen. Möge Gott ihm beistehen.« Seine Stimme versagte, und er hatte Mühe, seine Fassung wiederzugewinnen. »Und den beiden seinen liebenden Schutz gewähren.«
Ich bekreuzigte mich ebenfalls und murmelte »Amen«, was ich anschließend sofort bedauerte, da es wie eine stillschweigende Hinnahme klang. »Was werdet Ihr tun?«
»Als Witwer leben. Gott sei Dank gibt es noch meinen anderen Sohn, der sicher im Schoße der Kirche lebt, und meine Tochter in der Lombardei. Du musst uns vergessen, Alice. Such dir am Königshof ein neues Leben. Der Sohn und die Tochter unserer Gönnerin schulden dir und deiner Tochter ein besseres Leben, das beste, das für euch arrangiert werden kann. «
Arrangiert. Tatsächlich war alles mit größter Sorgfalt arrangiert worden. Tommasas andere Kinder in Sicherheit und Janyns Frau und Kind in Obhut der königlichen Familie. Aber zerriss es ihnen nicht das Herz, wenn sie ihre Familien im Stich lassen mussten?
»Wie konnte er es nur ertragen, Bella und mich zu verlassen? Liebt er uns denn weniger als wir ihn?«
»Sie sind gegangen, weil sie uns lieben. Damit wir in Sicherheit sind.«
»Wen haben sie für die Königinwitwe beschützt, Vater?«
Er schüttelte den Kopf. »Das habe ich nie erfahren.« Er war aufgestanden und schob nun die Pergamente und Strichlisten, die auf dem Tisch vor ihm lagen, sinnlos hin und her, als würde die Tätigkeit ihn beruhigen. »Vor vielen Jahren gab es ein Gerücht. Die Leute munkelten von einem Mann, dem unser King Edward auf einer Reise nach Rom begegnet war. Er nannte sich William of Wales, und
angeblich behauptete er, der Vater unseres Königs zu sein – der alte King Edward, Lady Isabellas Gemahl, von dem alle glaubten, er sei ermordet worden.«
Ich bekreuzigte mich. »Was hat unser König getan? Hat er ihn hinrichten lassen?«
»Nein. Das war der Teil der Geschichte, der mir stets zu denken gab. Der König lud diesen Mann ein, ihn den Rest seines Wegs zu begleiten.«
»Also war es nun sein Vater?«
»Keine Ahnung. Ich konnte Tommasa nie dazu bringen, sich dazu zu äußern. Es machte dem Eindruck, als hätte sie Angst, zu viel zu sagen.« Er schleuderte ein Pergament zur Seite und beobachtete, wie es über den Tisch schlitterte und auf die Bodenfliesen fiel.
Jemanden, den ich überaus schätze. Den Ehemann, dem Isabella durch ihre Buhlschaft mit Roger Mortimer solches Leid angetan hatte? Den Ehemann, den sie zum Abdanken gezwungen hat? Sollte er erneut jemand geworden sein, den sie »überaus schätzte«? Ich wusste dies nicht zu beurteilen, da ich die königliche Familie und ihr adliges Gefolge mittlerweile als so verschieden von den Leuten erlebt hatte, unter denen ich aufgewachsen war, dass sie tatsächlich einen eigenen Menschenschlag verkörperten, einen Menschenschlag, dem unsrigen so fremd, wie sich Hunde und Vögel waren. Die königliche Familie lebte, als gehöre sie bereits einer mythischen Gestaltenwelt an. Nichts war ihr zu teuer, nichts lag außerhalb ihres Machtbereichs. Was die Mitglieder der königlichen Familie voneinander hielten, wagte ich nicht einmal zu vermuten.
Master Martin riet mir, ein neues Leben unter diesen mythischen Gestalten zu finden, weil sie mir dies schuldig wären angesichts des Unheils, das Isabella
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