Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Georgia. Natürlich war sie noch in der Frauenzeitschrift. D’Esté Defoes Rat ergoß sich weiterhin Woche für Woche über ihre Millionen Leserinnen, doch Mary gehörte nicht dazu.
Regelmäßig besuchte sie Dr. Beales. Eines Tages entdeckte er zum erstenmal, daß sie gelogen hatte.
Sie hatte behauptet, nie zu menstruieren. Dr. Beales hatte sie argwöhnisch angesehen und auf seinen Block geschrieben: menstruiert nie(?). Doch schon bald nachdem sie ihre Röcke in den Luftschacht geworfen und sich eingestanden hatte, ein glücklicher Mensch zu sein, war ihre erste Periode gekommen. Sie hatte stumm auf das Blut gestarrt. Sie hatte nie geglaubt, eine Gebärmutter zu haben, aus der Blut kommen konnte. Doch nun war die Regel da, wie eine Strafe. Sie war vom Elend ihrer Jahre in Swaithey in Schach gehalten worden. Das Glück hatte sie kommen lassen. So launenhaft war ihr Körper.
Sie ertrug das monatliche Bluten, indem sie es ignorierte. Sie sah nie hin. Beim Einführen und Entfernen der Tampons schloß sie die Augen. Sie sagte sich, daß dieses kleine Fließen nichts war im Vergleich zu den Fluten, die aus Lindseys Körper geströmt waren. Sie nahm vier Tage lang rund um die Uhr Aspirin, so daß sie nicht das geringste Anzeichen von Schmerz verspürte, und redete sich ein, daß nichts war.
Dr. Beales sah es an ihren veränderten Pupillen.
Sie sagte: »Nein, da irren Sie sich! Das ist gar nicht möglich, weil ich keine Gebärmutter habe.«
Er stand auf. Sie war gerade erst zehn Minuten da, doch er erklärte die Sitzung für beendet.
»Dr. Beales, ich brauche anderthalb Stunden, um hierherzukommen.«
»Gut«, erwiderte er, »wenigstens haben Sie dann künftig nicht mehr diesen weiten Weg.«
Sie starrte ihn mit offenem Mund an. Ihr war übel vom Aspirin und jetzt auch noch vor Angst.
»Da Sie mir nicht die Wahrheit sagen, Marty, beende ich diese Sitzung und die Beratung überhaupt.«
Sie mußte sich aufs Betteln verlegen. Sie gab zu, im Hinblick auf ihre Periode gelogen zu haben. Sie erklärte ihm, daß es eine Lüge war, an die sie selbst immer noch glauben wollte, und daß sie sich in ihren Träumen die Gebärmutter herausschnitt und sie in der Antarktis begrub. Sie schwor, daß es ihre einzige Lüge war und alles andere der Wahrheit entsprach.
»Und was ist mit Ihren Adoptiveltern? Haben Sie mir über sie die Wahrheit gesagt?«
»Ja«, antwortete Mary. »Und ich habe meinem Vater geschrieben, daß Sie ihn unter Umständen kennenlernen wollen.«
»Und was ist mit Ihrer Mutter, die Sie als ›gute Frau‹ bezeichnet haben?«
Mary holte ein Taschentuch aus der Jeanstasche und hielt es sich vor den Mund. Sie fror. Sie spürte, wie ihr das ganze graue Aspirin-Zeug hochkam. Sie entschuldigte sich, lief aus dem Zimmer und übergab sich in Dr. Beales Toilette. Beim Gedanken an all die Lügen, die sie noch erzählen mußte und die ihre ganze Wachsamkeit und Vorsicht beanspruchen würden, fühlte sie sich so müde, daß sie sich am liebsten in der Toilette auf den Boden gelegt und geschlafen hätte. Doch sie ging zu Dr. Beales zurück.
Er bot ihr ein Pfefferminzbonbon an und sagte: »Dann wollen wir es heute einmal dabei bewenden lassen. Bringen Sie nächstes Mal Ihren Vater mit.«
Edward Harker mochte London nicht. Seiner Meinung nach verstanden es die Franzosen, eine Stadt anzulegen, nicht aber die Engländer. Er fuhr jedoch Mary zuliebe hin. An einem heißen Junitag kam er am Liverpool-Street-Bahnhof mit seinem Panamahut an. Sein Gesicht war vom Kricketspielen mit Billy hinten im Garten gebräunt, so daß er unter den anderen Fahrgästen auffiel.
Sie fuhren mit der Untergrundbahn nach Richmond. Harker überreichte Mary einen Brief von Pearl, den sie in die Hosentasche steckte, um ihn später, wenn sie den Tag überstanden hatte, zu lesen. Sie sagte zu Harker: »Wenn du wirklich mein Vater gewesen wärst, dann wäre vielleicht alles anders gekommen.«
Harker lächelte. »Ich weiß jetzt ziemlich sicher, was Billy in seinem früheren Leben gewesen ist. Habe ich es dir schon erzählt?«
»Ein Ringer.«
»Nein. Ein indisches Prinzchen.«
»Wieso?«
»Man merkt es an seinem Kricketspiel. Er schlägt mit so wundervoller Verachtung. Wie der alte Ranjitsinhji.«
Sie lachten. Später stiegen sie in einen Bus nach Twickenham. In der Sonne schien es ein hübscher Ort zu sein. Auf dem Fluß lag ein bläulicher Schimmer. Da es noch etwas zu früh war, setzten sie sich auf eine Bank und bewunderten das Wasser, wobei
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