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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Gesicht. Es war heiß in Twickenham. Mary hatte Schuldgefühle, weil er hier sein mußte.
    Beales wiederholte seine Frage. »Wenn Sie nicht darauf bestanden haben, daß sich ihr Spiel um die Mutterrolle und häusliche Pflichten drehte, wo rührt dann Martys Angst her?«
    »Wir haben nicht darauf bestanden. Aber wir haben wahrscheinlich weiterhin erwartet, daß sie mit Puppen und dergleichen spielte oder so tat, als gäbe sie eine Teegesellschaft, all das, was Pearl...«
    »Pearl. Ihre leibliche Tochter?«
    »Ja. Pearl liebte ihre Puppen. Sie hatte einen Kinderwagen für sie. Sie versuchte ihnen die Haare zu waschen...«
    »Dann haben Sie also mit Pearl nie Kricket gespielt?«
    »Kricket?«
    »Ja.«
    »Nein.«
    »Aber mit Marty?«
    Harker wandte sich Mary zu. Er war feuerrot im Gesicht.
    »Kricket? Haben wir das, Mary?« fragte er.
    »Ja«, antwortete Mary. »Kannst du dich nicht mehr daran erinnern? Im Garten. Ich habe meistens geworfen – mit dem alten Tennisball, den ich damals hatte.«
    »Ach ja«, sagte Harker. »Das haben wir. Das hast du. Ja, das haben wir.«
    Dr. Beales schrieb auf seinen Block: Kricket(??). Harker putzte sich die Nase. Mary versuchte sich zu erinnern, was sie Dr. Beales darüber erzählt hatte, was für ein Werfer sie gewesen war. Sie nahm an, daß dies seine nächste Frage sein würde.Doch das war sie nicht. Er schraubte die Kappe auf seinen teuren Füllfederhalter und wandte sich ernst an Harker: »Marty hat mir bei ihrem ersten Besuch erzählt, Sie hätten in ihrer Kindheit versucht, sie zu vernichten. Was, glauben Sie wohl, hat sie damit gemeint?«
    Harker fragte: »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mein Jackett ausziehe?«
    »Aber nein, bitte sehr!«
    Während sich Harker aus seiner Leinenjacke kämpfte, überlegte Mary angestrengt, was sie wohl gesagt hatte, wie alt sie war, als ihre richtigen Eltern starben. Wahrscheinlich hatte sie an die zwei Schweigeminuten gedacht und »sechs Jahre« gesagt, doch sie war sich dessen nicht sicher. Sie hatte ja nicht einmal mehr gewußt, daß sie überhaupt über Sonny gesprochen und das Wort »vernichten« gebraucht hatte. Bei Beales glaubte sie immer, daß Edward und Irene ihre Eltern waren. Sie stand auf. »Das ist nicht er gewesen, Dr. Beales«, sagte sie.
    »Wie bitte?«
    »Das ist nicht Edward gewesen. Mein richtiger Vater hat versucht, mich zu vernichten. Bevor er beim Absturz der Silver City ums Leben kam.«
    »Er versuchte Sie zu venichten, als Sie vier oder fünf Jahre alt waren?«
    »Ja.«
    Beales wandte sich an Harker. »Sie wußten darüber Bescheid?«
    »Nun...«, sagte Harker.
    »Sie wußten das nicht?«
    »Doch, doch! Ich wußte, daß es da Probleme gegeben hatte. Sonny war immer...«
    »Was war mit dem Wort ›Vernichtung‹ gemeint?«
    »Nun...«
    »Es ist ein sehr starkes Wort, nicht wahr?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Aber natürlich kein Wort, das einem sechsjährigen Kindgeläufig ist. Welche Vorfälle oder Gefühle aus der Zeit, bevor Sie ihr Adoptivvater wurden, hat Marty also gemeint?«
    »Ich kann es nicht genau sagen...«
    »Sie sind fünfzehn Jahre ihr Ersatzvater gewesen und haben es nie für nötig gehalten, herauszufinden, welche Schäden ihr in ihrer frühen Kindheit zugefügt worden sind?«
    Harker wandte sich Mary zu und wischte sich mit dem Taschentuch übers Gesicht. »Ich nehme an, du hast darüber mit Irene gesprochen, nicht wahr? Nicht mit mir.«
    »Ja«, sagte Mary. »Ich glaube nicht, daß ich je mit dir darüber gesprochen habe.«
    Dr. Beales warf den Füllfederhalter hin. Er erhob sich und ging zum Fenster. Dort stand er, Mary und Harker den Rücken zugewandt, und blickte hinaus. Harker sah Mary an und formte mit den Lippen die Worte: Es tut mir leid.
    Im Zimmer war eine Fliege, deren verrücktes Summen gegen die Scheibe das einzige Geräusch im Raum war. Mary dachte: Es ist nichts gegen Schweigen einzuwenden, wenn man weiß, was der andere denkt, jedoch viel, wenn man es nicht weiß.
    Sie musterte ihre Umgebung. Dabei sah sie, daß auf dem Etikett in Harkers Jackett Milsom and Sands (Norwich) Ltd. Herrenausstatter. Gegr. 1895 stand. Sie wünschte, Edward wäre jetzt in einem Bekleidungshaus in Norwich, aus dem er jederzeit in die Sonne hinausschlendern konnte.
    Sie blickte auf die Schreibgarnitur auf Beales’ Tisch. Diese war aus Leder und hatte einen passenden Löscher. Sie fragte sich, ob das Tintenfaß wohl aus Porzellan war. Es war die Art Besitz, auf die vielleicht Georgia stolz gewesen wäre, doch das

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