Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
zu sein, als wollte er sich noch zu Lebzeiten einbalsamieren. Sein Hals ist faltig, und wenn er mir Whisky eingießt, zittern ihm die Hände. Er meinte aus heiterem Himmel: »Sie sind immer noch eine schöne Frau, Estelle. Sagt das noch manchmal jemand zu Ihnen?«
Wenn man sich eine Weile an einem Ort aufhält, nimmt man den Geruch, den er am Anfang hatte, nicht mehr wahr. Das war mir schon im Mountview aufgefallen. Und so begann ich mich im Bus wohl zu fühlen.
Ich beschloß, mich zu betrinken. Das war kein unvernünftiger Entschluß, wenn man alles in Betracht zog.
Pete griff nach meiner freien Hand – in der anderen hatte ich das Whiskyglas – und streichelte sie. Er sagte: »Walter war ein Tagträumer. Ein Tag- und Nachtträumer. Wenn man so träumt wie er, dann muß man einfach mal raus, etwas ausprobieren und die Konsequenzen tragen.«
Ich widersprach ihm nicht. Ich hatte oft geträumt, vor Bobby Moores Haustür zu stehen. Beim Läuten erklang ein Glockenspiel. Er kam in einem Faltenhemd an die Tür und nahm mich in seine durchtrainierten Arme. Doch es war alles Träumerei gewesen. Es hatte keine Konsequenzen gegeben, abgesehen von geträumten erotischen. Und das bedauerte ich.
Nichts geschieht in Swaithey.
Ich blieb über zwei Stunden in Pete Loomis’ Bus. Alles nahm eine bernsteinfarbene Schattierung an. Ich war überrascht von dem, was ich sah, von mir gab und hörte.
Ich breitete die Komödie meines Lebens vor ihm aus. Ich sagte: »Wir verlieren Timmy. Wir sind dabei, ihn zu verlieren. Genauso, wie Grace Walter an eine Wildnis verloren hat. Wir werden Timmy hergeben müssen.«
»An wen?« fragte Pete.
»An niemanden«, antwortete ich, »an eine senkrechte Linie.«
Pete glaubte mir das nicht. Er dachte, ich hätte die vertikale Linie mit dem verrückten Teil meines Verstands erfunden.
»Und Mary?« fragte er.
Ich antwortete darauf nicht.
»Was ist aus ihr geworden, Estelle?«
»Pete«, sagte ich, »darum geht es nicht mehr. Es geht jetzt um Timmy.«
»Wenn Sie meinen. Doch eines Tages wird Mary zurückkommen. Sie wissen das doch, nicht wahr?«
»Ich weiß nur, daß Sonny mit keinem menschlichen Wesen mehr spricht. Nicht mit Timmy und nicht mit mir. Er spricht nur noch mit seinem Hund. Er sagt Wolf, was er zum Abendessen haben will. Wenn Sonny auf die Toilette geht, sitzt der Hund jaulend vor der Tür.«
Wir lachten darüber und schenkten Whisky nach. Ich meinte: »Habe ich nicht gesagt, daß es komisch ist?«
Es war schon dunkel, als ich ging. Da war nichts Bernsteinfarbenes mehr. Es herrschte die tiefste und sanfteste Dunkelheit, die ich je erlebt hatte.
Pete wollte mich nicht gehen lassen. Er wollte weiter meine Hand streicheln. Ich sagte, daß ich noch fünfunddreißig Minuten bleiben würde, wenn er mir verrate, wo Walter sei. Dann aber müsse ich unbedingt gehen, weil im Fernsehen The High Chaparral kam. »Das versäume ich nie. Ich liebe Filme, die in Amerika gedreht sind, weit weg von hier, in denen die Erde aufgewirbelt und herumgeschossen wird.«
»Dann gehen Sie! Verlassen Sie einen alten Mann! Ich werde das Versprechen, das ich Walter gegeben habe, nicht brechen. Das ist mir heilig.«
Ich watete durch die Dunkelheit. Am Himmel standen keine Sterne.
Die Erde blieb an meinen Schuhen kleben und zog mich herunter. Ich lachte glucksend.
Als ich mich dem Haus näherte, konnte ich in einem der oberen Fenster Licht brennen sehen. Es war Timmys Zimmer. Er sitzt an seinem Schreibtisch, den er sich aus Spanholz gebaut hat, und liest sich in ein anderes Leben.
Mary:
Nachdem mir Pearl den Brief geschrieben hatte, wurde sie krank. Sie hatte Hirnhautentzündung und lag lange Zeit mit Morphiumträumen in ihrem grün-weißen Zimmer. Ich hätte sie gern besucht, doch glaube ich nicht, daß es mir je wieder möglich sein wird, nach Swaithey zu gehen.
Ich schickte ihr Postkarten von London und eine Schallplatte von Cat Stevens. Edward berichtete in seinen Briefen von ihren Fortschritten. In einem schrieb er: »Sie könnte in ihrem früheren Leben ein Tier aus der Luft gewesen sein – eine Libelle oder Lerche, so zart und leicht, wie sie ist.«
Ich dachte an den Tag, an dem ich sie mit in die Schule genommen hatte. Da hatte ich sie fast auf mein Schreibpult fallen lassen, so riesig und schwer lag sie in meinen Armen. Aber natürlich ist sie jetzt wirklich leicht. Sie ist im Laufe der Zeit leichter geworden.
In jenem Winter erzählte ich Rob und Tony von meinem Entschluß, Martin zu
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