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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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an.
    »Auf das, was möglich ist«, antworte ich.
    Als letztes sehen wir eine Fisch-Demonstration. Scheinbar lebende Fische, die um das Korallenriff von Australien schwimmen. Es sind Modelle, die in einem gläsernen Schaukasten an Fäden von der Decke hängen. Man soll die Fäden nicht sehen, sieht sie aber doch.
    Ein Kind mit einem Polizeihelm aus Plastik fragt seinen Vater: »Sind das Marionetten?« Der Vater weiß nicht, was er darauf antworten soll. Nach einer Weile meint er: »Nein.«
    Pearl ist ganz begeistert. »Schau doch, was für phantastische Namen sie haben!«
    »Teppichhai. Großer Fetzenfisch. Mondfisch. Flughahn...«
    Wir stehen da und lesen die Namen laut vor. Das klingt sehr ernst, als würden wir die Namen derer vorlesen, die auf den Feldern von Frankreich gefallen sind. Dann lachen wir, und ich erinnere mich plötzlich, wie Pearl als Kind gelacht hat, und ich denke: Ihr Lachen ist auf einem Schiff, versteckt in einer Obstkiste, zu mir herübergekommen.
    Wir essen im Zorba zu Abend. Die griechischen Kellner Nico und Ari behandeln Pearl, als wäre sie Melina Mercouri. Sie küssen ihr die Hand.
    Pearl vertilgt einen ganzen Berg Gyros, ohne es anscheinend zu merken. Ich esse ein paar mit Reis gefüllte Weinblätter und passe auf sie auf.
    Plötzlich merkt sie, wieviel sie gegessen hat, und hört auf. Sie sagt: »Bitte erzähl mir von deinem Leben, Mary.«
    Ich spüre ein Frösteln in meinen Armen, als kündete sich ein Krampf oder eine Starre an.
    Ich erzähle ihr von der Liberty , daß sie ihr Überleben dem Vietnamkrieg verdankt und sogar in Amsterdam, Luxemburg und Toronto verkauft wird. Ich beschreibe Tony und Rob, die Zimmerpflanzen und meinen alten Schreibtisch, den Getränkewagen. Und ich sage ihr, wie froh ich bin, daß ich für die Liberty arbeiten kann und so auch die Möglichkeit zum Zeichnen habe.
    Nachdem Pearl noch ein Dessert mit viel Honig gegessen hat, fragt sie: »Als dich Edward in London besucht hat, sagte er, daß er dir helfen wolle, ein paar Veränderungen in deinem Leben vorzunehmen. Hast du sie nun vorgenommen?«
    Ich massiere meine Arme und antworte: »Ja.«
    Sie nimmt eine der Schleifen aus ihrem Haar, so daß es ihr weich ums Gesicht fällt. »Edward meinte, sie seien ein Geheimnis. Vor mir hast du doch nie Geheimnisse gehabt.«
    Ich seufze, winke Ari herbei und bestelle Kaffee. Ari sagt zu mir: »Ihre Freundin, Mart, läßt so allerhand vom Stapel, nicht wahr?«
    »Ja«, erwidere ich, »das tut sie wahrhaftig.«
    Pearl lächelt, dann senkt sie die Augen. Vor einer Weile hat sie mir erzählt: »In der Schule gibt es nur einen Jungen, den ich mag. Er heißt Clive und interessiert sich für Bäume.«
    Als der zuckersüße Kaffee kommt, frage ich Pearl: »Glaubst du, daß wir uns immer mögen werden, ganz gleich, was geschieht?«
    »Man kann nicht sagen ›ganz gleich, was geschieht‹«, erwidert sie. »Man weiß ja nicht, was das ›was‹ sein könnte.«
    »Da hast du recht. Man kann es wohl nicht sagen.«
    Einen Augenblick lang herrscht Schweigen, dann fragt Pearl wieder: »Waren sie denn ein Geheimnis?«
    »Ja«, antworte ich. »Aber ich erzähle es dir vielleicht später noch. Wenn wir zu Hause sind. Vor dem Schlafengehen.«
    »Du sagtest ›zu Hause‹. Ist der Hof nicht mehr dein Zuhause?«
    »Nein.«
    Sie zieht ihr weißes Nachthemd an. Dann holt sie aus ihrem herzförmigen Kulturbeutel einen Schwamm und wäscht sich damit die blaue Wimperntusche ab. Schließlich putzt sie sorgfältig die Zähne. Ich ziehe mich etappenweise aus, ohne etwas von meinem Körper sehen zu lassen.
    Sie legt sich in mein Mahagonibett, und ich lege mich auf ein paar Kissen auf dem Fußboden und decke mich zu. Pearl fragt: »Soll ich dir etwas aus meinem Handbuch für Zahnarzthelferinnen vorlesen?«
    Im Gebäude ist es so still, als wären alle anderen woanders.
    »Ja. Tu das!«
    »Ich fange ganz von vorn an.«
    »Schön!«
    Sie liest: »Normalerweise ist es die Schwester oder Zahnarzthelferin, wie sie richtig heißt, die den Patienten empfängt. Dies ist ein wichtiger Moment, da das Vertrauen des Patienten zum Zahnarzt mit von der Erscheinung und dem Auftreten der Zahnarzthelferin abhängt.
    Daher sollte sie schick gekleidet sein. Sorgfältige Körperpflege ist ebenfalls sehr wichtig, nicht nur wegen des äußeren Erscheinungsbilds, sondern auch wegen des Behandlungserfolgs und der Vermeidung von Infektionen in der Zahnarztpraxis.
    Ruhiges, höfliches und mitfühlendes Auftreten zusammen mit

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