Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
werden. Wir waren im Zorba und aßen Ziegenrissolen. Sie griffen fast gleichzeitig nach ihren Servietten und wischten sich den Mund ab. Beide waren fassungslos. Ich sagte: »Trinkt erst mal einen Schluck Retsina, bevor ihr euch dazu äußert.«
Rob faßte sich als erster wieder. Er fragte: »Was gefällt dir nicht daran, eine Frau zu sein, Mart?«
Ich erwiderte: »Ich will nicht behaupten, daß es mir nicht gefällt, eine Frau zu sein. Es ist bloß so, daß ich keine bin. Nie eine war.«
Tony sagte: »O Mann, da bin ich aber platt.«
Doch sie gewöhnten sich an den Gedanken. Und dann fanden sie mich interessanter als zuvor, geradeso, als wäre ich ein Aborigine ehrenhalber geworden. Sie erhöhten mein Gehalt. Sie kauften mir einen eigenen Kaffeebecher, auf dem Martin stand. Sie sahen jetzt in mir eine Enteignete.
Tony versprach, mir einen neuen Psychiater zu suchen.»Eins mache ich zur Bedingung«, erwiderte ich daraufhin. »Er darf nicht in Twickenham sein.«
Tony meinte: »Komm mir nicht mit Bedingungen, Mart. Es wird schwer genug sein, überhaupt einen zu finden.«
Er fand dann einen, der im Dunkeln lebte wie ein Quastenflosser. Seine Praxis war in der Nähe von Ladbroke Grove und voller tropischer Fische. Die einzige Beleuchtung im Raum war das Licht der Aquarien. In einem von ihnen war ein Axolotl. Ich hörte den Psychiater aus der grünen Dunkelheit heraus sagen: »Er gehört zur Spezies der Mörder.«
Er hieß Martin – ein Zufall, der mir nicht gefiel. Sein Familienname war Sterns. Er sagte: »Alle meine Patienten reden mich mit dem Vornamen an, doch wenn Ihnen das unangenehm ist, nennen Sie mich Sterns. Es wird mich nicht aus der Fassung bringen...«
Er war klein, trug einen Bart und hatte eine melodische Stimme. Während ich sprach, lief er im Zimmer auf und ab und betrachtete seine Fische. Das Seufzen und Flüstern der Filteranlage erinnerte mich ans Meer. In den Raum, in dem wir arbeiteten, fiel nie auch nur ein Schimmer Tageslicht. So nannte er es – »arbeiten«. Er sagte: »Martin, wir werden mit Erinnerungen, vergessenen und vergangenen Dingen arbeiten. Es wird die schwerste Arbeit Ihres Lebens werden.«
Es war schwierig, Sterns anzulügen, sogar im Dunkeln. Er hielt meinen Fall für so interessant, daß er sich bereit erklärte, mich ohne Honorar zu behandeln. Ich sagte ihm die Wahrheit über Sonny und Estelle. Ich beschrieb ihm, wie Sonny die elastischen Binden von meinen Brüsten abgeschnitten hatte. Ich erzählte ihm vom Zimmer meiner Mutter im Mountview und von dem sinnlosen Stricklappen. Ich erklärte: »Ich bin für sie verloren, und sie für mich. Vielleicht für immer. Wenn ich auch noch immer träume, daß... daß ich mir, wenn ich Martin bin, eine Rüstung anlege, Estelle wie Sir Lancelot rette und sie dann bei mir behalte und auf sie aufpasse.«
»Und Sie wissen natürlich«, entgegnete Sterns, »daß dies ein unvernünftiges Ziel ist?«
»Ich weiß es, empfinde es aber nicht so.«
»Ich werde Ihnen helfen, es auch so zu empfinden. Jetzt möchte ich, daß Sie noch einmal ganz von vorn anfangen. Ich möchte, daß Sie mir alles erzählen, was Sie an jenem Tag des Schweigens für den König empfunden haben und was da genau geschehen ist.«
Ich erzählte von dem Schneeregen und von meinen Gebeten für die Briefmarke. Alles schien in weiter Ferne, in einem anderen Land zu liegen. Ich dachte: Ich bin jetzt vierundzwanzig. Ich habe erst ein kurzes Leben gehabt, das sich schnell erzählen läßt. Doch es vergingen Wochen, ja Monate. Ein paar der Fische starben und stiegen an die Wasseroberfläche. Sterns’ Bart schien im Licht der Aquarien grau zu werden. Wir sprachen mein Leben immer wieder und immer wieder durch, bis Sterns eines Tages sagte: »Nun gut, Martin. Ich glaube, es ist an der Zeit, den ersten Schritt zu tun. Wir sollten jetzt wohl mit einer kontrollierten Metamorphose beginnen.«
»Wenn das männliche Hormon Testosteron in den Körper einer Frau gelangt, ruft es dort im Laufe der Zeit gewisse Veränderungen hervor. Am augenfälligsten sind dabei:
der Verlust an Körperfett,
die Verkleinerung der Brust,
die Vergrößerung der Klitoris,
das allmähliche Auftreten von Gesichts- und Körperhaar,
das Aussetzen der Menstruation.«
Mit diesen Worten beschrieb ich Rob und Tony den klinischen Prozeß. Wir hatten im Büro Mittagspause und aßen Käsesandwiches. Meine Stimme war mir selbst fremd. Es war wieder Sommer. Im Comme-il-Faut-Salon unter uns wurde Pity the Poor
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