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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Stromnetz und an die Kanalisation angeschlossen ist. Wir schlafen dann in Kojen – Sonny und Wolf unten, ich oben.
    Ich sage nichts mehr über Selbsttäuschung. Sonny meint: »Es ist naheliegend. Das kannst du dir ja ausrechnen. Er wird für seine Frau ein richtiges Heim wollen. Und auch ihre Wurzeln sind hier, so daß sie in der Nähe von Swaithey bleiben muß. Denk doch mal darüber nach. Es ist nur logisch, daß sie es so machen.«
    Ich erinnere ihn daran, daß die Welt nicht logisch ist. Das ist das unüberwindliche Hindernis auf dem Weg zum menschlichen Glück.
    Sonny erwidert nichts. Er sieht mich an, mustert mich. Dann sagt er: »Läßt du dir vor der Hochzeit noch das Haar richten? So kannst du doch nicht gehen!«
    Ich ließ es mir schneiden und eine Dauerwelle machen. Als es auf harte Lockenwickler, die wie kleine Knochen aussahen, aufgerollt war, dachte ich: Ava Gardner hat nie eine Dauerwelle gehabt. Jedenfalls nicht, daß ich wüßte. Oder doch?
    Ich sah adrett und alt aus. Eine Generation älter, als ich war.
    Am großen Tag, dem 4. Juli, sehr früh am Morgen, noch bevor Irene auf war und das Kleid ein allerletztes Mal bügelte und noch bevor Timmy wach war und seine Gebete verrichtete, hatte ich einen Orgasmus.
    Ich war von nichts und niemandem berührt worden, außer vielleicht im Traum. Doch es war ein richtiger Orgasmus, und ich wachte mittendrin auf und schrie vor Vergnügen.
    Ich konnte mich nicht an den Traum erinnern. Und ich konnte mich auch nicht erinnern, wann ich das letztemal einen Orgasmus gehabt hatte. Vielleicht 1966, als ich in Bobby Moore, Englands Fußballkapitän, verliebt gewesen war.
    Wir hatten einen Studenten vom Teviotts zu Besuch. Er hieß Julian, war sehr groß und hatte weiße Fingerknöchel, so daß er mich an ein Bambusrohr erinnerte. Er sollte Timmys Begleiter bei der Hochzeit sein.
    Es gab keine Brautjungfern. Nur Billy, der wie ein Page eine Kniehose anhatte und lächelnd die Schleppe trug. Die einzige Frau, die an der Zeremonie teilnahm, war Pearl. Als wir das Rascheln der neunzehn Meter Satin hörten, drehten wir uns alle um, schauten und fielen in tiefes Schweigen, als wir die schönste Braut der Welt sahen.
    Sie wurde von Edward geführt, zu dem sie lächelnd aufsah. Taft knisterte, als Irene nach ihrem Taschentuch suchte.
    Doch es kam anders als geplant.
    Als sie den halben Weg durchs Kirchenschiff zurückgelegt hatten, brach Edward zusammen. Er fiel auf die Seite und riß Pearl mit sich. Sein Kopf schlug auf einer Kirchenbank auf. Pearl stürzte auf ihn, so daß er fast unter ihrem Kleid begraben wurde. Sie schrie auf. Billy wurde blaß und hielt sich die Schleppe vor den Mund.
    Ich blieb, wo ich war, und schaute zu. Irene, Sonny und Timmy rannten zurück.
    Ich dachte: Das habe ich doch schon mal erlebt, daß etwas Schreckliches inmitten von Satin und Tüll passiert ist. In der Pfadfinderinnenhütte.
    Der Hochzeitsmarsch brach nach ein paar weiteren Takten ab. Mein Vater stand mit einer weißen Pfingstrose im Knopfloch neben mir. Er griff nach meinem Arm und sagte: »Halt dich fest, Stelle.«
    Edward wurde in die Vorhalle getragen. Pearl weinte. Das Bambusrohr stand schwankend am Altar.
    Ich setzte mich hin. Ich fühlte mich erschöpft und dachte: Dieser Orgasmus hat mich schon erschöpft, bevor der Tag auch nur angefangen hatte.
    »Ist er tot?« fragte ich Cord.
    »Höchstwahrscheinlich nicht«, antwortete Cord.
    Der Pfarrer ging hocherhobenen Hauptes an uns vorbei. Er ist ein stolzer Mann ohne jede Liebenswürdigkeit. Verglichen mit ihm ist Timmy die reinste Demut und Freundlichkeit. Vielleicht glaubte ja nur einer von beiden an Gott.
    »Ich sollte lieber einmal nachschauen«, sagte ich.
    Cord und ich hielten uns aneinander fest. Mein Haar riecht noch immer nach der Dauerwellflüssigkeit, so daß jeder, der in meine Nähe kommt, ein Würgen im Hals verspürt.
    Wir trafen Edward lebend, auf einer Steinbank sitzend, an.
    Irene und Billy hatten die Arme um ihn gelegt. Pearl kniete neben ihm und tupfte sich mit dem Schleier die Tränen ab. Timmy und Sonny sahen sehr ernst aus. Der Pfarrer stand dabei und rang die Hände. Draußen vor der Vorhalle schien die Julisonne aufs Gras und auf die alten, sich neigenden Grabsteine.
    Edward entschuldigte sich. »Ich bin bisher nur einmal in Ohnmacht gefallen, und zwar auf einem Kricketplatz. Nur ein einziges Mal...«
    »Sprich lieber nicht, Edward«, sagte Irene.
    »Nein, sprich lieber nicht, Dad«, sagte Billy.
    »Sprich

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