Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Sie«, meinte Bill C., »und dann betrügt er Sie. So einfach ist das.«
Walter schrieb Pete regelmäßig. Er versuchte ihn über sein neues Leben ins Bild zu setzen. Er beschrieb seine Arbeit auf den Höfen, die Herbstfeuer, das Instandsetzen und Aufräumen im Winter, das Graben und Säen im Frühling. Er zählte auf, was ihm die Frauen, für die er arbeitete, gegeben hatten: Gläser mit eingelegter Roter Bete, Pastetenscheiben, Wassermelonen, selbstgemachte Bonbons, Tabakdosen, abgelegte Hemden, einen Putter und eine Schachtel mit alten Feuerwerkskörpern. »Seit ich hier bin, habe ich das Gefühl, am richtigen Platz zu sein. Und nun meine ich, daß ich mit Hilfe Bentwaters, dem ich im Gegensatz zu Bill C. traue, zu guter Letzt aufstehen und zu singen anfangen soll. Mein erstes Lied werde ich Dir widmen. Ich habe Jimmie Rodgers, The Singing Brakeman, nicht vergessen, auch nicht, wie ich einmal, alsich zu lieben meinte, Oh, Sandra geschrieben habe. Wenn es klappt, verdanke ich alles Dir.«
Grace schrieb er nicht.
Er dachte aber an sie. Er war froh, daß jeder ihrer Tage sicher zu Ende gegangen war, wenn der seine begann. Er ließ ihren Geburtstag verstreichen. Wenn er es geschafft hatte, ein Sänger zu werden, würde er es ihr mitteilen. Er würde ihr schreiben: »Du hast einen berühmten Sohn.«
Auf einer Beerdigung sang er zum erstenmal vor Publikum.
Die Verstorbene war eine Frau von zweiundsechzig, eine Mrs. Riveaux. Sie wurde nicht auf einem Friedhof, sondern unter einem riesigen Magnolienbaum auf ihrem Bauernhof in der Nähe von Franklin beerdigt. Bentwater erklärte: »Sie liebte das Land und seine Musik. Sie war eine richtige Tennessee-Frau und konnte sogar tanzen.«
Ihr Mann war Richter am Bezirksgericht, und Bentwater verdankte ihm sein Leben. Deshalb durften Bent und Walter auch auf Mrs. Riveaux’ Beerdigung singen, denn der Richter vergaß nie die Leute, die er gerettet hatte. Er wußte, daß jemand, der einmal der Rettung bedurft hatte, ihrer unter Umständen immer wieder bedurfte.
»Wie hat er dich denn gerettet?« fragte Walter.
Sie waren im Wohnmobil und tranken Bier. Der kleine elektrische Kühlschrank sprang immer wieder an und vibrierte und summte.
»Er rettete mich, indem er mich auf seinem Hof arbeiten ließ«, antwortete Bentwater. »Ich stand mit einer Anklage wegen Landstreicherei vor Gericht. Ich hatte auf einem Sandhaufen geschlafen, mich von Müll ernährt, Tabak gestohlen. Er hätte mich verurteilen können, tat es aber nicht. Er ließ mich auf seinen Hof kommen und dort für Unterkunft und Verpflegung arbeiten. Ich schlief in einer ehemaligen Sklavenhütte. Ich glaube, meine Matratze war noch immer von den Körpersäften von Sklaven durchdrungen, denn sie roch nach Mensch. Doch es war immer noch besser als Sand.
Und Mrs. Riveaux war sehr nett zu mir. Sie gab mir Kleidung. Ich wußte nie, wem sie vorher gehört hatte. Ich bekam auch einen Rasierapparat, Seife und einen Tag alte Zeitungen von ihr. Und ich sang ihr und dem Richter vor. Jedenfalls im Sommer. Wir saßen draußen auf der Veranda, ohne Licht, wenn man mal von den Moskitolichtern absah, und ich sang.«
»Wie lange bist du denn bei ihm geblieben?«
»Nun, vielleicht ein Jahr. Bis ich den Anblick des Himmels satt hatte. Ich bin nicht für das Leben auf dem Land geschaffen.«
»Das war ich auch nicht«, sagte Walter.
»Ich meine, für eine Weile ist es okay, doch dann bekommt man es satt.«
»Ja. So ist es.«
»Ich hatte inzwischen Fay May kennengelernt. Sie gab mir die Chance, in ihrer Bar für ein Trinkgeld zu singen. Ich kaufte mir einen alten Wagen und wohnte darin. Stellte ihn in die Nähe des Sandhaufens, so daß ich sehen konnte, wo ich einmal gewesen war. Ich bin kein Nietzsche oder Wittgenstein, Walter, doch an eins glaube ich: Wenn man den Ort, an dem man gewesen ist, nicht mehr kennt, kann es passieren, daß man, ohne es zu merken, wieder dort landet, und dann sitzt man wirklich in der Scheiße. Man dreht sich dann, verdammt noch mal, im Kreis, und das ist wirklich tragisch.«
Die Riveaux waren Baptisten. Die Beerdigung fand in einer kleinen weißen Kirche statt, die einsam mitten auf ihrem eigenen Land stand.
Walter schrieb an Pete:
Die Kirche hat einen Garten – Rasen und Beete –, und ich sagte zu Bent: »Mein Onkel war einmal Kirchengärtner in Memphis.« Daraufhin meinte er: »Im Ernst, Walt?«
Mrs. Riveaux’ Sarg war aus Ebenholz. Er kam mir sehr lang vor; sicher war sie eine große Frau
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