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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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»Du und Timmy, ihr kommt mir wie kleine Kinder vor. Seid ihr denn für all das bereit?«
    »Wie kann irgend jemand wissen, ob er ›bereit‹ ist?«
    Ich dachte an Sonny und mich – die Berührungen und das endlose Begehren, das jede Minute ausgefüllt hatte. »Könntest du ohne ihn leben?« fragte ich.
    »Ja, das könnte ich«, antwortete Pearl. »Ich will es aber nicht.«
    »Habt ihr miteinander geschlafen?«
    Pearl errötete. Dann sah sie mich kühl an. Sie dachte sicher, das ginge mich nichts an, und damit hatte sie ja wohl auch recht. Schließlich antwortete sie: »Timmy ist Christ. Er wird Vikar.«
    »Das weiß ich«, erwiderte ich.
    »Aber wir wollen Kinder. Wir beide. Wir haben darüber gesprochen. Danach sehne ich mich.«
    Sie saß mir gegenüber am Küchentisch. Auf ihren Schultern lag ein Streifen Licht und ließ ihr Haar wie Glaswolle leuchten.
    »Du bist so schön, Pearl. Du könntest jeden Mann haben, den du willst«, sagte ich.
    »Ich bin es leid, schön zu sein. Mein Leben lang habe ich das gehört. Ich will jetzt nur noch ich sein, mit Timmy zusammen. Und dann eine Mutter.«
    »Und was ist mit deinem Ziel?«
    »Mit welchem Ziel?«
    »Zahnarzthelferin zu werden. Ich erinnere mich, daß mal eine dabei war, als wir im Mountview Was bin ich? gespielt haben. Jedenfalls glaube ich, daß sie eine war. Sie hieß Anthea. In ihrer Pantomime stand sie vornübergebeugt und schaute auf etwas. Dieses Etwas war ein Mund, doch wir haben es nicht herausgekriegt. Wir glaubten, es sei der Grand Canyon oder ein Schmetterling, der vom Fensterbrett wegfliegt.«
    Pearl starrte mich an. Ich wollte gar nicht wissen, was sie dachte.
    Nach einer Weile sagte sie: »Wie du weißt, wollen wir uns in Brighton niederlassen. Ich werde dort bei einem Zahnarzt arbeiten, bis Timmy am Teviotts fertig ist.«
    »Und dann?« fragte ich.
    »Das wird sich zeigen. Die Leute säubern und ihnen helfen, ruhig zu bleiben, ist ein gutes Training für die Mutterschaft.«
    »Deine Liebe galt der Biologie!«
    »Ja. Und das ist noch immer so. Ich habe Timmy gesagt, daß ich gern ein Aquarium hätte.«
    Was das Heiraten angeht, erzählt einem niemand die reine Wahrheit.
    Es gibt auch keine reine Wahrheit, wie die Zwiebel ja auch keinen Kern hat; es gibt nur individuelle Träume.
    Ich versuchte herauszufinden, wovon Timmy träumte. Er sagte: »Vom Frieden.«
    Er ist gewachsen, seit er am Teviotts ist. Er hat so hart gearbeitet, daß sich seine Knochen gestreckt haben.
    »Meinst du inneren Frieden?«
    »Einfach Frieden! Ich hatte nicht geglaubt, daß ich ihn bei einem Menschen finden würde. Ich dachte, es gäbe ihn nur auf undefinierbare Sachen bezogen.«
    »Und nun?«
    »In dem Augenblick, als ich an jenem Tag Pearl in die Arme nahm, spürte ich ihn, ganz und gar, die vollkommene Ruhe.« Ich lächelte ihn an. Er erzählt mir so selten etwas. Mein Vater war es gewesen, der mir gesagt hatte, daß Timmy Priester werden wollte. Tim hatte nicht den Mut dazu gehabt.
    Wir saßen vor dem Fernseher. Der Ton des Films war leise gestellt. Doris Day sang fast schweigend durch viele Tüllschichten hindurch. Sonny machte einen Nachtspaziergang mit dem Hund.
    »Bist du noch unschuldig, Tim?« fragte ich.
    Er wich meinem Blick aus. »Warum bist du nur so am Leben anderer Leute interessiert?« kam seine Gegenfrage. »Warum kümmerst du dich nicht mehr um dein eigenes?«
    Ich überhörte das und wandte mich wieder dem Fernseher zu. Als Doris’ stilles Liedchen zu Ende war, kam Rock Hudson und hielt ihr einen Strauß Rosen hin. Ich sagte: »Ihr kommt mir wie kleine Kinder vor, Tim. Ich möchte nicht, daß ihr euch verirrt, das ist alles.«
    »Du bist diejenige, die sich verirrt hat!«
    Er ging aus dem Zimmer und ließ mich den Rest des Films allein sehen. Ich liebe Filme. Bei neunundneunzig Prozent von ihnen ist die Zukunft am Ende hübsch geordnet.
    Sonny versucht die Zukunft neu zu ordnen. Er glaubt, er kann das.
    Ich habe zu ihm gesagt: »Wenn du im Mountview wärst, Sonny, würden sie dir etwas über Selbsttäuschung erzählen.«
    Er erwiderte: »Ich bin aber nicht im Mountview. Also halt die Klappe!«
    Er träumt sich alles zurecht, redet sich ein, daß Timmy über den Hof seine Meinung ändern wird. Er glaubt, Timmy und Pearl werden, wenn die Zeit am Teviotts vorbei ist, nach Suffolk zurückkehren und den Hof übernehmen.
    Ich weiß nicht, wo wir dann wohnen sollen, Sonny und ich. Vielleicht baut er ja in seiner Phantasie einen Atomschutzbunker für uns, der ans

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