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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wahrscheinlich keine Rolle.«
    »Sie meinen, ich soll Urlaub machen? Ich führe nicht die Art Leben, von dem man ausspannen muß.«
    »Nein«, erwiderte Sterns. »Ich denke nicht an Urlaub. Ich meine ein Fortgehen für längere Zeit. Sobald Sie sich für die Hysterektomie bereit fühlen, melde ich Sie dafür an, und wenn Sie sich davon erholt haben, sollten Sie sich, meine ich, woanders umblicken, ein anderes Stück von dieser Welt anschauen. Bisher kennen Sie nur England. Kaufen Sie sich einen Globus, und sehen Sie sich ihn an, Martin. Führen Sie sich vor Augen, wie klein England und wie groß die übrige Welt ist.«
    Ich schwieg. Ich war sehr überrascht.
    »Nun?« fragte Sterns.
    »Ich weiß nicht«, antwortete ich. »Darüber habe ich noch nie nachgedacht.«
    »Dann tun Sie es jetzt. Sie sagen, daß Sie sterben wollen, weil es in England nichts Kostbares mehr für Sie gibt. Sie sind siebenundzwanzig. Machen Sie sich auf die Suche nach etwas Neuem.«
    »Das Problem ist der Sommer. Den möchte ich nicht erleben müssen.«
    Sterns notierte sich etwas auf seinem Block. Beales hatte immer alles aufgeschrieben; Sterns schrieb nur ab und zu etwas auf.
    »Sie können sich im Sommer operieren lassen«, sagte er. »Auf diese Art bringen wir Sie über den Sommer. Sie wissen ja schon, daß eine Operation die Zeit verändert.«
    Am Abend lieh ich mir von Rob einen Atlas. Die Hintern in der Luft, knieten wir auf dem Boden und blätterten darin.
    »Das Problem ist, Mart«, sagte er, »daß du nirgends jemanden kennst, außer Tony in Sydney, und der hat uns mit dieser verdammten Bella und ihren Wahnsinnshaaren betrogen.«
    »Ob man Leute kennt, spielt keine Rolle«, entgegnete ich.
    »Doch, das tut es. Du bist nie im Exil gewesen. Aber ich. Ich weiß, was eine Rolle spielt und was nicht.«
Estelle:
    In Swaithey soll eine Hochzeit gefeiert werden. Und zwar am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag. Ich sehe darin eine gewisse Ironie, doch niemand sonst. Sie sagen: »Estelle, du siehst auch überall Schwierigkeiten.«
    Es gibt überall Schwierigkeiten. Es ist schwierig, morgens aufzuwachen. Es ist schwierig, sich daran zu erinnern, warum man überhaupt lebt.
    Hochzeiten verursachen bei mir Verstopfung. Ich muß alles bei mir behalten, alles festhalten. Doch das ist die letzte Hochzeit von Bedeutung: Timmys mit Pearl. Bis ans Ende unserer Tage werden wir sie in Erinnerung behalten.
    Ich machte es mir zur Aufgabe, die Beteiligten aufzusuchen, um herauszufinden, was sie sich erhoffen.
    Irene nähte Tag und Nacht. Sie hatte bei Cunningham neunzehn Meter weißen Satin gekauft. Man hätte meinenkönnen, ein Fallschirm sei auf ihrem Schoß gelandet. In einer Schachtel waren siebenhundert winzige Perlen, keine echten, doch täuschend echte. Irene sagte: »Schon als ich sie Pearl, ›Perle‹, nannte, hatte ich ein über und über mit Perlen besetztes Oberteil vor Augen.«
    Ich half ihr beim Nähen der Schleppe. Pearl kam herein, stellte sich in Büstenhalter und Höschen auf einen Hocker, und Irene steckte das Kleid an ihr ab. Sie stand da oben auf dem Hocker und blickte aus dem Fenster auf die Passanten. Sie schien so in Gedanken zu sein, als wäre sie mit einer langen und komplizierten Addition beschäftigt.
    Als Pearl wieder weg war, fragte ich Irene: »Ist es das, was du dir gewünscht hast?«
    »Ob es das ist, was ich mir gewünscht habe?«
    Billy kam herein. »Billy, paß auf!« rief Irene schon, bevor er auch nur die Tür geöffnet hatte. Billy ist ein Teenager. Er sieht Irene sehr ähnlich, ist so dick und süß wie sie.
    Sein Blick lag auf den vielen Satinrollen. »Mum«, sagte er dann, »Dad und ich gehen angeln.«
    »In Ordnung!« erwiderte Irene. »Vergeßt den großen Schirm nicht!«
    Es war ein brütendheißer Tag. Irene merkt nicht mehr, wie das Wetter ist. Sie ist in Gedanken in einer anderen Welt, in der von Pearls Hochzeitskleid. Darüber hinaus nimmt sie nichts wahr. Sie spricht mit Stecknadeln zwischen den Zähnen, streichelt den Satin wie die Haut des Geliebten und hält ihn sich ans Gesicht. Meine Frage hat sie vergessen. Noch immer mit Nadeln im Mund, sagt sie: »Ich selbst hatte keine weiße Hochzeit.«
    Ich lud Pearl zu uns ein. Ich hatte mir die Lippen angemalt und trug mein Haar in einem Knoten. Ich bereitete ein Mittagessen aus der Tiefkühltruhe vor: Pfannkuchen mit einer Füllung aus geräuchertem Schellfisch, dazu Brokkoli. Sonny war in der Scheune und suchte im staubigen Schatten Kühlung.
    Ich sagte zu Pearl:

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