Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Soldaten und die Pfaue.«
Man merkte jetzt, daß es eine Anstalt und kein Wohnhaus war, und zwar an dem riesigen Schornstein, der dahinter errichtet worden war und dem einer Fabrik glich, an den kleinen Hütten im Fertighausstil, die auf die Wiese gesetzt worden waren, und an den Hinweisschildern Parkplatz, Wäscherei und Kein Zutritt für Besucher .
Cord zitterte. Er sagte immer wieder: »Merkwürdige Show, verdammt schlechte Show.« Ich merkte, daß er wünschte, nicht hier, sondern in Gresham Tears zu sein, um sich ein Glas Wincarnis einzuschenken. Sein fahles Gesicht hatte jetzt die Farbe von Vanillesoße, und seine verquollenen, schweren Augen sahen darin wie Backpflaumen aus. Er hielt mich an der Hand. Ich dachte: Das ist mehr, als wir ertragen können. Wir gingen hinein und blieben auf dem gebohnerten Boden stehen und warteten. Es roch nach Desinfektionsmittel undetwas Süßem, Lebendigem, aber Schrecklichem, wie Hirn. Leute liefen an uns vorbei, die uns nicht zu sehen schienen, oder aber sie sahen uns und schauten weg. Wir wußten weder, wo wir uns hinwenden, noch, wie wir uns verhalten sollten. Wir sollten, ging es mir durch den Kopf, zum Minx zurückkehren, uns hineinsetzen und nachdenken und dann vielleicht wegfahren und so tun, als ob wir nie den Versuch unternommen hätten, hierherzukommen. Doch Cord trat schließlich zu einem der Leute, einem Mann in einem weißen Kittel, und sprach ihn mit so fester Stimme an, als wäre er Hakluyt, der nach dem Weg nach Moskau fragte. Wir folgten diesem dann durch ein riesiges Zimmer, das eine Stuckdecke mit altmodischen Rosen und herabhängenden Fialen hatte, die so aussahen, als würden daraus Stalaktite werden. Unter diesen Stalaktiten saßen ernst und schweigend Männer und Frauen und warteten darauf, daß die ersten eisigen Tropfen auf sie fielen, und es waren ihre Gehirne, die rochen, und ihre Plastikstühle, die mit Desinfektionsmittel abgewischt worden waren.
Der Mann im weißen Mantel lief sehr schnell, so daß Cord und ich rennen mußten, und es gab fast nichts auf dieser Welt, was Cord mehr haßte als zu rennen.
Wir eilten einen Korridor entlang, dessen Boden aus einem steinähnlichen Material bestand, und dann ein paar mit Kokosläufern bedeckte Treppen hinauf. Von den Treppenfenstern aus konnte man den Schornstein sehen, aus dem schwarzer Rauch aufstieg. Wir erreichten einen dunklen Gang mit vielen Türen mit Nummernschildern, und ich wußte, daß meine Mutter dort war, hinter einer dieser Türen. Daher nahm ich meinen Zettel heraus, um ihn Cord für sie mitzugeben. Doch Cord umklammerte noch immer meine Hand. Ich versuchte sie freizubekommen, aber das war schwierig, und dann furzte Cord zweimal vor lauter Angst und Erschöpfung, und ich dachte: Ich kann ihn doch nicht im Stich lassen, während er furzt; ich muß jetzt Martin und stark sein.
Meine Mutter saß auf einem Stuhl. Ihr Haar wurde hinten von einem Gummi zusammengehalten. Sie hatte einen gezierten Gesichtsausdruck, wie jemand hinter einem Ladentisch, der Liberty-Mieder verkauft. Sie strickte etwas. Ihr Wollknäuel war durchs Zimmer unter das aus Kiefernbrettern zusammengenagelte Bett gerollt. Als sie uns sah, lächelte sie und drückte ihr Strickzeug an die Brust. Sie bedeckte sie damit und strich es glatt, als meinte sie, ihre Brust müßte versteckt werden.
Sie hatte in ihrem Zimmer orangefarbene Vorhänge, einen Linoleumboden und einen Plastikstuhl. Wir konnten nur am Ende des Bettes sitzen, das sehr schmal war. Also saßen wir dort eng nebeneinander und lächelten Estelle an, die unser Lächeln erwiderte. Cord zog ein Taschentuch hervor, mit dem er sich übers Gesicht wischte, und rieb sich die Augen.
»Wie geht es dir, Est?« fragte Cord nach einer Weile. Er nannte sie meist »Est«, manchmal auch »Stelle« oder »mein Mädchen«. Sie antwortete: »Ich bin kerngesund, Daddy, das siehst du ja. Mir wird hier sehr geholfen, besonders mit den Schatten, die ich immer gesehen habe, und mit meinem Kummer wegen der Zwiebel.«
»Gut!« sagte Cord. »Das freut uns zu hören. Nicht wahr, Martin?«
Ich nickte. »Was strickst du denn da, Mutter?« fragte ich.
Sie blickte auf das Strickzeug, den grauen Lappen auf ihrer Brust.
»Oh, ich vergesse immer, was es ist. Was etwas ist, ist ja auch unwichtig, nicht wahr?«
»Ja, ja«, antwortete Cord, »vollkommen unwichtig.«
Wir lächelten die ganze Zeit. Ich war froh, daß wir mit Estelle allein waren und diese Leute unter den Stalaktiten nicht
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