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Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Die Verwandlung der Mary Ward - Roman

Titel: Die Verwandlung der Mary Ward - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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dabei waren.
    »Ist das Essen in Ordnung?« fragte Cord.
    Estelle zuckte mit den Schultern. Das Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. »Die Mahlzeiten sind eine Farce«, sagte sie.
    »Wie, nicht gut, he? Kinderessen, ja?«
    »Die Leute!«
    »Wie bitte, Stelle?«
    »Eine Farce. Ganz und gar. Aber ich schaue nicht hin. Ich mache die Augen zu.«
    »Wohl kein erfreulicher Anblick?«
    »Ich sehe sie nicht. Ich mache die Augen zu. Ich stricke. Das ist viel besser.«
    Ich dachte: Es ist so wie bei unserem Krippenspiel in der Schule, in dem ich der Erzengel Gabriel und Billy Bateman mit einem Geschirrtuch und einem Gummiwurfring auf dem Kopf der Erste Hirte gewesen war. Er brachte alles durcheinander. Ich sagte: »Fürchtet euch nicht, ihr Hirten«, und er hätte fragen sollen: »Was willst du uns verkünden, guter Engel?«, aber er fragte statt dessen: »Wie weit ist es bis Bethlehem?« Dann sagte ich: »Ich bringe euch wunderbare Mär«, und Bills Frage hätte lauten sollen: »Welche denn?«, doch er erklärte: »Ich fürchte, daß einige unserer Schafe erfrieren werden!«, so daß ich improvisieren mußte. Ich rief also: »Nichts von den Schafen! Ich wiederhole: Ich bringe euch gute Mär.« In unserem Theaterstück hatte es jedoch ein Publikum gegeben, das lachte und klatschte, und hier lief das Stück ohne Zuschauer ab.
    Ich fand in der Tasche meiner Shorts, bei meinem Zettel, ein Karamelbonbon und wickelte es langsam aus. Meine Mutter sah zu, wie ich es mir in den Mund steckte.
    »Es tut mir leid, Mary«, sagte sie plötzlich. »Wirklich.« Dann zog sie sich das Gummiband aus dem Haar, breitete das Haar übers Gesicht und rieb sich damit über Mund und Nase.
    »Aber nicht doch, Est!« sagte Cord.
    Das Strickzeug fiel auf den Boden, und Estelle begann vorwärts und rückwärts zu schaukeln. Man merkte, daß sie in ihr Haar weinte.
    Cord weinte auch. Ihm strömten die Tränen übers Gesicht.
    »O Gott, Stelle«, seufzte er. Dann stand er auf und versuchte meiner Mutter das Haar aus dem Gesicht zu streichen. Er sagte immer wieder: »Es ist nicht für lange, Stelle. Nur bises dir wieder bessergeht, mein Mädchen.« Und ich dachte: Ich komme nicht noch einmal mit hierher, niemals! Nie wieder in meinem ganzen Leben werde ich dieses Mountview betreten!
    Ich rannte aus dem schrecklichen kleinen Zimmer und den Flur entlang. Ich rannte wie ein Sprinter, schneller als ein Junge. Erst beim Wagen blieb ich stehen. Dort hielt ich mich an dem Minx fest, der von der Sonne glühend heiß war, und wartete auf Cord. Als er kam, fuhren wir wieder nach Hause.
    Auf unserer Heimfahrt fiel uns nicht viel ein, was wir hätten sagen können.
    Ich steckte den Kopf zum Fenster hinaus in die frische Luft, die nach Heu und Senfblüten roch.
    Als wir fast in Gresham Tears waren, sagte Cord: »Wie wär’s mit einem Lied?« Wir versuchten uns an Wake Up, Little Susie , kannten aber kaum den Text.
Oh, Sandra
    In diesem Sommer verliebte sich Walter Loomis zum erstenmal.
    Er traf seine Liebe bei einer Filmvorführung für Landarbeiter in der Pfadfinderinnenhütte. Es wurde der Film Des Königs Admiral mit Gregory Peck und Virginia Mayo gezeigt. Sie hieß Sandra. Als Walter Sandra erblickte, sehnte er sich danach, Gregory Peck zu sein und eine Augenbraue heben zu können, ohne die andere zu bewegen.
    Sie trug einen Filzrock uncl einen Gummigürtel. Ihr Haar hatte die Farbe von Orangenmarmelade. Sie erzählte Walter, daß es ihr Wunsch sei, Stenotypistin zu werden, in der Zwischenzeit aber verkaufe sie bei Cunningham Schräg-, Zickzack- und Gummiband. Ihr Hobby sei Boot fahren.
    Walter hatte noch keine Übung im Lieben von jemandem außer seinen Eltern und Pete. Er wußte nicht, ob das, was erfühlte, das war, was er fühlen sollte. Er überlegte, ob er sich bei einer Zeitschrift Rat holen sollte, hatte aber keine Ahnung, welche dafür in Frage kam. Er sagte zu Pete: »Ich fühle mich, als wäre ich voll von etwas, was mir nicht gehört, als wäre ich ein Wal, der einen Menschen verschluckt hat.« Pete gähnte und unternahm dann einen Versuch, seine Augen auszurichten. »Laß dich warnen, Walter«, sagte er, »Frauen können deinen Tod bedeuten. Und das hier ist erst der Anfang.«
    Dann war Kirmes in Leiston. Walter ging zu Cunningham, wo Sandra gerade dabei war, die Nähseiden in den Auslagekästchen in einem Regenbogenspektrum bemerkenswerter Präzision anzuordnen. Sie war ein sehr ordnungsliebendes Mädchen. Sie zupfte sich die Augenbrauen zu einem

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