Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
Raum.
Das Schwimmbecken in der Marshall Street machte einen riesigen Eindruck. Auf der einen Seite war eine steile Zuschauertribüne. Das Licht fiel von hoch oben aufs Wasser. Die Rufe Mr. McKenzies, des Olympiatrainers, wurden als Echo zurückgeworfen wie in einer Kathedrale. Wenn der Sprungturm nicht gewesen wäre, hätte Timmy es hier wundervoll gefunden. Wenn er bei einem Wettkampf im Delphinschwimmen über drei Längen, hundert Meter, sprungbereit auf dem Startblock stand und auf Mr. McKenzies Pistolenschuß wartete, hatte er mehr Freude am Leben als zu jeder anderen Zeit.Es beeindruckte ihn immer wieder, wie die Wasseroberfläche (ganz gleich, wie sehr sie zuvor von Schwimmern aufgewühlt worden war) Sekunden vor dem Wettschwimmen zu glasiger Ruhe zurückkehrte. Und es gefiel ihm am Schwimmen, daß man keine Spur von sich zurückließ, keinen Fußabdruck, keine Fährte. Man vollführte eine horizontale Linie. Sie bewegte sich vor einem her, man hatte sie immer vor sich, und nichts blieb hinter einem zurück.
Mr. McKenzie erinnerte die Otter ziemlich regelmäßig daran, wie stolz England eines Tages auf sie sein würde, wenn sie sich jetzt anstrengten. »Timothy«, sagte er, »wir müssen deine Beine kräftigen, sonst wird der Union Jack nie für dich aufgezogen werden.«
Auf seiner langen Fahrt zur und von der Marshall Street dachte Timmy über den künftigen Ruhm nach. Er stellte fest, daß er ihn nicht so sehr für sich selbst als vielmehr für Sonny wollte. Mit Sonnys Leben ging es bergab, es hatte sich selbständig gemacht, sauste nach unten, wie beim Springen. Der Mähdrescher war rostig. Ersatzteile wurden auf Kredit bestellt und nicht bezahlt. Die Felder lagen brach, weil Sonny die Energie fehlte, sie zu bestellen. Überall säten sich Disteln aus. Der ganze Bauernhof war von Disteln überwuchert, und Sonny unternahm nichts dagegen. Timmy haßte den Anblick all der Distelwolle, die wie Baumwolle über den Boden wehte.
Er hatte einen ständig wiederkehrenden Traum: Sonny kam in Anzug und Krawatte zur Marshall Street. Er sah zu, wie Timmy zwei Wettkämpfe im Delphinschwimmen gewann. Er stand auf, applaudierte und winkte voller Freude mit einem Taschentuch. Sie fuhren zusammen mit dem Zug nach Hause, Vater und Sohn. Als sie die Felder am Fenster vorbeigleiten sahen, sagte Sonny: »So wird von jetzt an alles aussehen: eben, ordentlich und schön. Und das haben wir dir zu verdanken.«
Doch da war die verflixte Sache mit dem Springen. Beide Eltern sprachen immer wieder davon, so als sähen sie in all dem Schwimmen nur eine Vorübung für diese andere, größere Sache, für den Augenblick, in dem Timmy seinen Körper der Luft anvertrauen und sie zuschauen würden, wie er herunterfiel.
An einem Sonntag
Gilbert Blakey war sein neuer Wagen, ein MGB-Kabriolett mit Sportfelgen, am Tag von Kennedys Ermordung ausgeliefert worden. Er hörte im Autoradio von dem Attentat. Gilbert war so schockiert, daß er auf einen Parkplatz hinausfahren und eine Weile still sitzen bleiben mußte. Die schwarze Innenausstattung des Wagens mit Ledergeruch, die er eben noch ganz wunderbar gefunden hatte, kam ihm nun wie eine sanfte Todeskammer vor. Er hatte Atemnot, drehte das Fenster herunter, um die schneidende Novemberluft hereinzulassen, und legte den Kopf aufs Lenkrad.
Von da an machte ihm der Wagen ein wenig angst, gerade so viel, daß er bedächtiger fuhr, als er eigentlich wollte. Es war ein strenger Winter, und die Straßen in Suffolk waren vereist. Gilbert fürchtete, der Wagen könne sich überschlagen und auf seinem nachgiebigen, weichen Dach zu liegen kommen. Er stellte sich seinen eigenen Kopf so zerschmettert wie Kennedys vor. Gilbert sehnte sich nach dem Frühling. Er wollte glauben, daß er nur den Winter überleben mußte und daß dann alles wieder angenehm werden würde: das Wetter, das Verhalten der Welt, das Schlagen seines eigenen Herzens. Doch ein Teil von ihm wußte, daß dies eine kühne Erwartung war. Kein Augenblick im Leben kehrt je zurück.
Er hatte Walters Zahnfleischerkrankung weiter behandelt. Er hatte zu ihm gesagt, er wolle ihn regelmäßig sehen, bis auch die letzten Verfallserscheinungen verschwunden seien. Wenn seine Zähne jetzt nicht gerettet würden, hätte er mit fünfunddreißig keine mehr. »Es war allerhöchste Zeit, daß Sie sich in meine Behandlung begeben haben, Walter.« Im Januar war Walters Mundhöhle rosa und sauber, und sein Atem rochwieder angenehm, so daß er fragte: »Dann
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