Die Verwandlung der Mary Ward - Roman
ungewöhnlichen Brief bekommen. Von einem Transsexuellen.«
Ich hatte dieses Wort noch nie gehört. Ich dachte: Wenn ein Wort dafür existiert, dann gibt es das nicht nur bei mir, dann gibt es das auch bei anderen Leuten. Also bin ich nicht allein. Mein nächster Gedanke war: Ist jetzt wirklich die Zeit gekommen, ist es jetzt tatsächlich soweit, daß Martin Ward entstehen kann?
Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren – auf die Grapefruit und danach auf Georgias Mund, der nach Revlon schmeckte. Ich wünschte, ich könnte ganz still in meinem grauen Zimmer sitzen.
Zwei Wochen später erschien in Woman’s Domain die Antwort auf meinen Brief.
Liebe Divided, Devon,
ich habe über Ihr Problem sehr gründlich nachgedacht. Nein, Sie sind nicht die einzige. Es hat schon andere gegeben, die das gleiche durchgemacht haben und denen durch Beratungen und in einigen Fällen durch die Chirurgie geholfen werden konnte. Die erste operative Geschlechtsumwandlung von einem Mann in eine Frau wurde an dem amerikanischen G.I. George Jorgensen im Jahre 1952 durchgeführt, und er/sie lebt seitdem glücklich als Christine Jorgensen. Im Jahre 1958 fand man heraus, daß der Schiffsarzt Michael Dillon als Laura Maude Dillon auf die Welt gekommen war; auch sie hatte ihr Geschlecht mit Hilfe einer Operation geändert.
Doch ich muß Sie warnen, Divided, Devon. Es ist ein weiter Weg bis zur Operation. Und sie steht nicht allen offen. Als erstes müssen Sie zu Ihrem Hausarzt gehen und ihn bitten, Sie an einen Psychiater zu überweisen, der auf Gescblechtsberatungen spezialisiert ist. Nur dieser kann entscheiden, welcber Weg für Sie der richtige ist. Nur er kann herausfinden, ob Sie mit einem Leben als Angehöriger des anderen Gescblechts zurechtkämen. Vertrauen Sie sich ihm an. Er wird Ihnen helfen, Ihre Zukunft zu finden.
Viel Glück und bon voyage!
D’Esté Defoe
Ich vertraute mich dann einem Psychiater namens Dr. Beales an. Das Expertenteam von Woman’s Domain hatte ihn für mich gefunden.
Ich hatte immer geglaubt, Leute wie er hätten ihre Sprechzimmer in der Harley Street. Doch das traf nicht auf Dr. Beales zu. Er hatte seine Praxis in Twickenham, und ich brauchte von Earl’s Court bis dorthin anderthalb Stunden. Twickenham gehört nicht einmal mehr richtig zu London, sondern zu Middlesex. An Dr. Beales’ Haus fließt langsam, braun wie Tee, die Themse vorbei. Sie hat dort einen üblen Geruch, der mich an den Graben in Suffolk erinnerte, in dem ich meinen grünen Tennisball gefunden hatte. Nach meinem ersten Besuch bei Beales träumte ich von einer Begebenheit in meiner Kindheit auf dem alten Bauernhof. Ich las Steine auf, und es wurde darüber dunkel.
Dr. Beales hatte ein Katzengesicht, zusammengedrückt und klein, doch mit leuchtenden Augen. Er war vielleicht vierzig Jahre alt und schwarzhaarig. Er hatte die Angewohnheit, an der schlaffen Haut unter seinem Kinn zu zupfen. Wie ein Lehrer trug er braunen Cordsamt. Er ließ mich in einem Ledersessel Platz nehmen, von dem aus ich aufs Wasser blicken konnte. Nachdem er mich betrachtet hatte, sagte er: »Sie sind sehr klein. Es gibt nicht viele Männer Ihrer Größe.«
»Ja. Ich versuche schon seit vielen Jahren zu wachsen.«
Er lächelte. Er hatte eines jener Lächeln, die, kaum daß sie da sind, auch schon wieder verschwinden, wie die Sonne im englischen Frühling. Er machte sich auf einem Block Notizen. Ich stellte mir vor, wie er mich sich beschrieb: das Hemd mit offenem Kragen, das ich trug, meine Jeans und Jeansjacke, die Brille mit dem schweren Gestell, mein braunes Haar, das Rob im Beatlesstil geschnitten hatte, meinen angstvollen Blick.
Er forderte mich auf, mich zu entspannen, es mir im Sessel bequem zu machen und auf das Wasser zu schauen. Ich fühlte mich müde und weit entfernt von allem, was ich kannte. Derschmutzige Fluß war kein tröstlicher Anblick. Wenn Rob jetzt hier wäre, würde er sagen: »Was für eine verdammte Jauchegrube, Mart. Nichts kann darin am Leben bleiben.«
Dr. Beales begann mir Fragen zu stellen. Er wollte von mir wissen, ob ich eine elektrische Sicherung reparieren könne und ob mir die Kricketregeln bekannt seien. Er fragte: »Machen Ihnen die Arbeiten im Haushalt, wie zum Beispiel Staubsaugen, Freude, oder lehnen Sie sie ab?« Und er fragte: »Beneiden Sie die Männer wegen ihrer überlegenen Stärke?« Und er fragte auch: »Haben Sie sich je für Eisenbahnen interessiert?«
Mit einem Auge schaute ich noch immer aufs Wasser und
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